Packender „Falstaff“ in Chicago

Riccardo Muti
Riccardo MutiAPA/EPA (JAVIER DEL REAL)
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Zum 400. Todestag. Eine Modellaufführung von Verdis „Falstaff“ war umjubelter Höhepunkt der Shakespeare-Reihe des Chicago Symphony Orchestra unter Riccardo Muti.

Seit 125 Jahren besteht das Chicago Symphony Orchestra, eines der fünf großen amerikanischen Orchester, die man gern als „Big Five“ bezeichnet. Das aktuelle Musikschaffen war ihm stets ein besonderes Anliegen. So hat es die beiden zweiten Klavierkonzerte von Bartók und Prokofieff, Strawinskys Symphonie in C, Elgars Enigma-Variationen, Holsts „The Planets“, Strauss' „Ein Heldenleben“, Skrjabins „Prometheus“, die dritten Symphonien von Alfredo Casella und Witold Lutosławski sowie Bruckners Neunte Symphonie und dessen „Te Deum“ entweder in Auftrag gegeben, zur Uraufführung oder zur amerikanischen Erstaufführung gebracht.

Nicht nur diese Stücke finden sich in den Programmen dieser Jubiläumssaison, sondern auch ein weiterer Schwerpunkt: ein Konzertzyklus rund um den 400. Todestag von William Shakespeare. Kaum ein anderer Dichter hat so viele Komponisten zu so unterschiedlichen Werken angeregt, vom Klavierstück über die symphonische Dichtung bis zur Oper. Daraus eine Auswahl zu finden ist eine besondere Herausforderung. Selbst, wenn man sich auf die Orchesterliteratur beschränkt. Da müssen die spezifische Klangkultur des Orchesters und die Vorlieben seines Musikchefs den Ausschlag geben. So verwunderte nicht, dass diese Shakespeare-Perspektive mit der Symphonie dramatique „Roméo et Juliette“ von Hector Berlioz begonnen wurde. Für ihn hat Riccardo Muti, seit 2010 Musikchef in Chicago, seit jeher ein besonderes Faible. Mit einer Berlioz-Zusammenstellung, „Lelio“ und dessen Fortsetzung, der Symphonie fantastique, hat er seine Ära in Chicago begonnen.

Mahlers Vierte ohne billiges Sentiment

Bekannt ist auch Mutis Vorliebe für Tschaikowsky. Von ihm erklangen die von Shakespeare inspirierte symphonische Fantasie „The Tempest“ und die gleich effektvolle Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“. Werke, mit denen sich Virtuosität und Perfektion der sich in exzellenter Form befindenden Musiker aus Chicago im besten Licht zeigen ließen. Dass sie damit auch in einem anderen Repertoire aufwarten können, bewies ihre von höchster Transparenz dominierte, sich jeglichem billigen Sentiment verweigernde Darstellung von Mahlers Vierter Symphonie.

Abschluss und Höhepunkt der Shakespeare-Reihe war eine konzertante Aufführung von Verdis „Falstaff“. Damit beschloss Muti seine in den Saisonen zuvor mit „Macbeth“ und „Otello“ begonnene Serie von Verdis Shakespeare-Opern. Ein Ereignis, mit welcher Selbstverständlichkeit, schier unglaublichen Transparenz und klanglichen Differenziertheit das Orchester spielte. Kaum zu glauben, dass nicht die Oper, sondern das Konzert die Kernkompetenz dieser hervorragenden Musiker ist, so minutiös hatte sie Muti auf diese für sie ungewohnte Herausforderung vorbereitet. Er ließ in jeder Phase des Geschehens seine intime Kenntnis, aber auch Erfahrung mit dieser Partitur, die er schon als Scala-Musikdirektor wiederholt exzellent realisiert hat, aufblitzen. Bereits für die damaligen Aufführungen in Mailand hatte Muti den heute weltweit führenden Falstaff-Interpreten, Ambrogio Maestri, verpflichtet. Er wird in dieser Rolle auch bei der „Falstaff“-Neuproduktion an der Wiener Staatsoper im Dezember zu hören sein. Nach wie vor eine Idealbesetzung für den durch Intrigen düpierten Hagestolz.

Hochspannung, Tiefgang und Präzision

Emphatisch und klangmächtig gestaltete Eleonora Buratto die Alice, ungewohnt aggressiv agierte Luca Salsi als ihr Gatte. Rosa Feola – sie war auch die wortdeutliche Interpretin des Soloparts von Mahlers Vierter – und Saimir Pirgu präsentierten sich als inniges Liebespaar Nanetta-Fenton. Souverän Daniela Barcellona als Mrs. Quickly, zurückhaltender Laura Polverelli als Meg Pag. Untadelig die übrigen Protagonisten, bestens einstudiert der Chicago Symphony Chorus. Bedauerlich, dass diese Hochspannung, Tiefgang und Präzision ideal vereinende Produktion nicht auf Reisen geht. Oder findet sie doch noch das Interesse eines Opernhauses oder Konzertveranstalters?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2016)

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