Kurt Rydl: „Tevje kommt mir sehr entgegen“

Tevje im Dialog mit dem lieben Gott: Kurt Rydl in „Anatevka“ an der Volksoper.
Tevje im Dialog mit dem lieben Gott: Kurt Rydl in „Anatevka“ an der Volksoper.(c) Johannes Ifkovits/Volksoper Wien
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An der Volksoper wechselt der Wiener Bass mit den ausdauernden internationalen Wagner-Erfahrungen, der heuer den 40. Jahrestag seines Operndebüts feiert, das Genre – und gibt erstmals den Milchmann in „Anatevka“.

„O ja, die Aufführung im Theater an der Wien mit Jossi Yadin hat auf mich damals auch großen Eindruck gemacht“, erinnert sich Kurt Rydl an eine Wiener Theaterlegende. Heute, Samstag, debütiert Rydl an der Wiener Volksoper in einem für ihn ungewohnten Genre. Er gibt den Tevje, den Milchmann, in der Wiederaufnahme des Musicals „Anatevka“ in der Produktion von 2003.

Es ist bezeichnend, dass der Künstler in derselben Woche an der Staatsoper den Pimen in Mussorgskys „Boris Godunow“ gestaltet. Derlei Gleichzeitigkeit von großen und höchst unterschiedlichen Partien war und ist in Rydls Terminplan keine Seltenheit.

„Irgendwann“, schildert er, wie das Musical-Engagement zustande kam, „habe ich in der Volksoper einmal fallen gelassen, dass mich der Tevje reizen würde. Dann war lange Ruhe. Und plötzlich kam das Angebot – da standen die ,Boris‘-Termine allerdings schon fest. Trotzdem habe ich angenommen. Das ist natürlich harte Arbeit, denn die Proben sind lange parallel gelaufen. Andererseits ist so etwas auch eine Herausforderung, die Spaß macht.“

Der Bass im Jet-Zeitalter

Das ist typisch Rydl. Es gab in seiner langen Karriere Wochen, in denen er zwischen zwei großen Opernhäusern hin- und herjettete, um hier im „Rosenkavalier“, da in der „Götterdämmerung“ aufzutreten. „Ich bin besessen“, sagt Rydl, „und ich habe immer gesagt: Würde man so etwas des Geldes wegen machen, würde man es nicht schaffen. Es muss aus einem hervorbrechen. Und man muss wunderbare Menschen und vor allem den richtigen Lebenspartner um sich haben.“ Künstlerisch nennt der Wiener Paradebassist Dirigenten wie Giuseppe Sinopoli, Zubin Mehta, Lorin Maazel und Peter Schneider. „Wenn solche Künstler auf mich zugegangen sind und mich eingeladen haben, dann habe ich schon auch an einem Tag Hagen in Paris, am nächsten Ochs in Wien gesungen.“

Die Bestätigung der eigenen Leistung durch renommierte Maestri wog die Anstrengung auf: „Allein den Hagen habe ich ja 214 Mal gesungen. Glauben Sie mir, das ist viel Holz“, sagt Kurt Rydl und lacht. Dass man seiner Routine, die dabei gewachsen ist, nicht immer traute, lässt ihn heute nur noch den Kopf schütteln: „Oft gab es Probleme, weil ich für eine Wiederaufnahme einer Inszenierung, die ich – weil ich ja in so gut wie allen ,Ring‘-Produktionen gesungen habe – in- und auswendig kannte, nicht vier Tage probieren konnte. Dabei ging es ja nicht um einen von Jean-Pierre Ponnelle durchgestylten ,Barbier von Sevilla‘, wo es wirklich auf jeden Fingerzeig ankommt. Wenn dann aus einem solchen Grund ein Engagement nicht zustande kommt, dann schmerzt das.“

Wie auch die Tatsache, dass man hierzulande offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat, dass sich das Staatsopern-Debüt von Kurt Rydl vor 40 Jahren ereignete. Der 8. Dezember wäre im Kalender rot anzustreichen, und doch hat sich kommende Spielzeit gar kein Termin für den Mann gefunden, der am Ring immerhin über 1150 Vorstellungen gesungen hat – „davon so viele Hauptrollen wie kein anderer Kollege, seit dieses Haus besteht“, sagt Rydl, „denn da geht es nicht um den Ersten Geharnischten in der ,Zauberflöte‘.“ Rydls Register nennt zwar die eine oder andere kleinere Partie, doch im Wesentlichen Hunding (28 Mal) und Sarastro (33), Rocco (46), Gurnemanz (23), Landgraf (28) und Ramfis (23), vor allem natürlich den Ochs (54).

In den Probenwochen durfte Rydl immerhin „sehr positive Erfahrungen mit dem Ensemblegeist in der Volksoper machen“, er freut sich auf die ungewohnte Herausforderung im Musicalfach. „Der Tevje“, sagt er, „ist ein wunderbarer Charakter, der mir sehr entgegenkommt. Der Mann hat einen festen Glauben, regiert zu Hause wie ein Patriarch, wird aber sehr klein, wenn er seiner Frau gegenübersteht. Er hat ein großes Herz für seine Töchter, er gibt sogar nach, als die eine statt des reichen Bräutigams, den er ihr zugedacht hat, den armen Schlucker wählt. Das Einzige, was er nicht verkraften kann, ist, dass eine der Töchter einen Nichtjuden heiraten will.“

„Grundehrlich, zugleich schlitzohrig“

Die Zwiegespräche, die Tevje mit Gott führt, zeigen ihn uns „als grundehrlichen Charakter, gepaart mit einer Riesenportion Schlitzohrigkeit. In dem Stück“, sagt Rydl, „steckt wirklich viel drin. Es beginnt augenzwinkernd, wird aber dann sehr ernst und scheint mir mehr als aktuell.“

Tevjes Familie muss unter dem Druck der zaristischen Milizen aus ihrem Dorf fliehen, um nach Amerika auszuwandern. In seiner Aussage und in seiner Machart steht für Rydl dieses Stück „über den typischen Musicals, beinah in einer Reihe mit einem Werk wie ,Porgy and Bess‘.“ Und es zählt für den Darsteller zu den großen Herausforderungen: „Dieser Tevje redet ja eigentlich ununterbrochen, ist dauernd am Text – und wenn er singt, dann in der Baritonlage . . .“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2016)

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