Melker Sommerspiele: Odysseus, Charmeur und Killermaschine

Odysseus
Odysseus(c) Melker Sommerspiele
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Helden sind grausam, aber auch komisch: Stephan Lack und Alexander Hauer begeistern mit einer stimmigen Uraufführung auf den Spuren Homers. Nicki von Tempelhoff zeichnet grandios die vielen Gesichter des Kriegers.

Solche Muskeln hat kein Bettler!“ Dem Freier schwant Übles, nachdem er den schäbigen Eindringling befühlt hat. Die Sommerspiele Melk zeigen seit Donnerstagabend eine Uraufführung: „odyssee“, klein geschrieben, ein Schauspiel von (Autor) Stephan Lack und (Intendant und Regisseur) Alexander Hauer – nach Homer. Auf der Bühne stehen Holzrampen und Container, in einem liegt ein Haufen verschlissener Kleider, aus denen orangefarbene Rettungswesten leuchten. Fabeltiere als Graffiti. Ein erschöpfter Mann kriecht an Land und lallt: „Allah!“ Ein junger Bursch will den Unbekannten gleich wieder ins Meer zurückstoßen: „Penner, Schnorrer, Parasit!“, schreit er.

Das Besondere dieser Aufführung ist dennoch nicht ihr Zuschnitt auf aktuelle Ereignisse, sondern die kluge Gesamtkomposition. Odysseus kehrt nach dem Krieg in Troja und langer Irrfahrt heim nach Ithaka. Seine größte Sehnsucht ist, sein Leben wie vorher wieder aufzunehmen. Doch das will ihm nicht gelingen, nicht nur, weil die Freier seine Frau, Penelope, und sein Haus belagern. Die Welt hat sich verändert – und auch Odysseus. Das Grauen, das er sah und verübte, verfolgt ihn. Seine Erlebnisse muss er in Geschichten verwandeln. Sohn Telemach ist skeptisch, von Göttern will er schon gar nichts hören. Mutwillig hetzt er den Vater auf, die Freier zu vernichten. Doch dann wendet er sich geschockt ab: So hat er sich seinen Kriegshelden-Papa nicht vorgestellt.

Odysseus und Telemach sind in Albträumen und Illusionen gefangen. Odysseus' Vater, Laertes (Christian Preuß), und die resolute Amme Eurykleia (Beatrice Fago) versuchen zu trösten und auszugleichen, nicht unbedingt aus Klugheit, sondern aus Übermüdung, weil sie schon so viel gesehen haben oder gelernt haben, sich zu schützen. Nicki von Tempelhoff bildet als Odysseus das absolute Zentrum der Aufführung: Seine Beredsamkeit ist ungeheuer. „Schluss!“, ruft einer der Freier. Nein, jetzt kommt doch erst die wichtigste Geschichte! Dieser Odysseus ist ein erstklassiger Talkmaster, ein noch besserer Trickser – und fast ungern greift er zur Waffe. Dann allerdings gerät er in einen Blutrausch und aus dem vielseitig Begabten springt der GI, der das Morden gelernt hat, bis es ihm zu einem Automatismus wurde.

Manchmal bricht Odysseus' Trieb zur Gewalttätigkeit auch bei Frauen durch, dann tötet er sie beim Küssen, in dem er ihnen die Luft absperrt. Es ist grandios, wie von Tempelhoff, ein Deutscher aus Nordrhein-Westfalen, der u. a. am Hamburger Thalia-Theater und an der Burg zu sehen war, die vielen Gesichter des Kriegers zeichnet: Mal verströmt er virilen Charme, mal hypnotisiert er genießerisch das staunende Publikum, doch wenn er rotsieht, gibt's kein Halten mehr.

Hexe, Heilerin und Sado-Maso-Frau

Penelope (Doris Schretzmayer) war einmal eine selbstbewusste Frau, bevor sie in die Fänge ihres Mannes geriet. Inzwischen ist die Lady aus Schaden klug geworden, ein wenig starr und immer wachsam und misstrauisch abwartend, was der Göttergatte oder die anderen Herren als Nächstes anstellen. Penelopes einziger Trost ist ihr hübscher Sohn Telemach mit langem Zopf (Matti Melchinger), doch der Bub geht längst eigene Wege und emanzipiert sich von seinen sonderbaren Eltern. Die Rückblenden zu Odysseus' Abenteuern bei Polyphem, Kirke, Kalypso und mit den Sirenen ergeben im Endeffekt die Reise eines rastlosen Mannes von einem Nervenkitzel, einer Herausforderung zur nächsten – und von einer Frau zur anderen: Die eine ist eine Hexe, die andere eine Heilerin, und die dritte lockt mit Sado-Maso-Praktiken. In jeder Dame aber sieht Odysseus, der Vagabund – klar doch! – nur seine Penelope, darum muss er seine Geliebten beizeiten wieder verlassen. Zu schade!

Seefahrer, Geschäftsleute oder Piraten

Die realen und die mythologischen Figuren sind die ganze Zeit auf der Bühne. Der Wechsel zwischen Realität und Fantasie erinnert an Ang Lees hinreißenden Film „The Life of Pi“ („Schiffbruch mit Tiger“), in dem ein junger Mann nach einem Schiffbruch auf dem Meer treibt und allerlei Ungeheuern begegnet, Ausgeburten seiner Fantasie.

Lack und Hauer gelingt es, in rund drei Stunden mit einer Pause fast die gesamte Odyssee zu umrunden und mit vielen stimmigen Ideen auf eine moderne Weise nachzuerzählen. Der Balanceakt zwischen Homers Dichtung und verständlicher Alltagssprache gelingt nach einem etwas holprigen Beginn. Auch komische Momente fehlen nicht: „Gute Fahrt und vor allem freundliche Aufnahme zu Hause!“, wünscht Odysseus Agamemnon, den bekanntlich seine Gattin, Klytämnestra, im Bad erdolchte. „Seid ihr geschäftlich hier oder streunende Piraten?“, fragt Polyphem, selbst Riese und Menschenfresser, die griechischen Seefahrer.

Starker Applaus: Das schöne Wachauer-Land hat diesen Sommer wieder eine Theaterattraktion, die es mit der Konkurrenz in der Großstadt mühelos aufnehmen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2016)

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