Was tun, wenn der Faust nicht mehr Deutsch spricht?

Tableau aus Herbert von Karajans Breit- wandinszenierung der „Aida“, 1979.
Tableau aus Herbert von Karajans Breit- wandinszenierung der „Aida“, 1979. (c) Archiv der Salzburger Festspiele/Winfried Rabanus
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Ob die Salzburger Festspiele auch Verdi, Puccini oder gar Massenet spielen dürfen, steht heutzutage nicht mehr zur Debatte. Das war nicht immer so. Noch Herbert von Karajan musste sich für "Aida" verteidigen.

Der "Faust", ja der gilt in den Salzburger Annalen als zentrale Produktion der Gründerjahre. Oder genau genommen als die letzte Festspielgroßtat vor dem politischen Zusammenbruch. 1933 hatte Clemens Holzmeister für Max Reinhardt, den von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss auserwählten Schauspielchef der Festspiele, die sogenannte „Faust“-Stadt in die Felsenreitschule gebaut. In diesem bis heute legendären Raum theatralischer Illusion zauberte Reinhardt eine Produktion, die in der Geschichte der Goethe-Rezeption bis heute singulären Rang einnimmt.

Als Bühne für solche Neudeutungen der großen Klassiker waren die Festspiele gedacht. Zumindest Richard Strauss, wenn schon nicht der aller romanischer Leichtigkeit und Helle aufgeschlossene Hofmannsthal, hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn man ihm zugeraunt hätte, dass bei „seinen“ Festspielen einst die „Faust“-Oper von Charles Gounod zur Aufführung kommen würde. Der „Faust“, von einem Franzosen komponiert, das war mit dem kulturellen Weltbild des Münchner Komponisten völlig unvereinbar.

Noch 1945 schreibt Strauss in seinem „Vermächtnis“ an Karl Böhm, zu Opern verunstaltete literarische Klassiker, vor allem solche deutscher Provenienz, „gehören nicht auf die deutsche Bühne“.

Daraus spricht aus Sicht der Nachgeborenen eine Arroganz, die freilich im deutschen Sprachraum ganz allgemein zu herrschen schien. Anders wäre etwa das Diktum Arnold Schönbergs nicht denkbar, der den Fund seiner „Zwölfton-Methode“ mit den Worten pries, er habe eine „Entdeckung gemacht, die die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten 100 Jahre“ sichern würde.

Wobei die Grenzen zwischen Chauvinismus und ästhetischen Bedenken fließend sind. Denken wir an den – chauvinistischer Umtriebe gewiss unverdächtigen – Alfred Polgar, der als Berichterstatter über die Berliner Szene referiert und eines Tages anmerkt: „Gewaltigen Erfolg hat hier auch eine Lehár-Operette, in der der Tenorist Tauber als Goethe auftritt, ohne dass die Welt, welche die Bretter bedeuten, einstürzte.“

Immerhin gaben Lehárs Librettisten in „Friederike“ dem Dichterfürsten gereimte Verse von – wie sagen wir's höflich? – jedenfalls nicht nobelpreisverdächtigem Zuschnitt zu singen. Da wird der Protest eines feinfühligeren Homme de lettres wohl verständlich.

Wie steht es nun mit der Adaption des „Faust“ für musikalische Zwecke? Goethe selbst war ja der Meinung, nur Mozart hätte vielleicht imstande sein können, die rechten Klänge für sein „Habe nun ach!“ zu finden. Doch dieser war schon fast zwei Jahrzehnte tot, als „Der Tragödie Erster Teil“ im Druck erschien.

Dünkel gegenüber französischem Esprit oder auch zündender Italianità waren allerdings in jenen Jahren noch keineswegs so ausgeprägt wie später im Gefolge der von blutigen Kriegen vorangetriebenen politischen Neuordnung Europas im späteren 19. Jahrhundert.

Wenn Hans Sachs mit Richard Wagners Worten warnt: „Welschen Dunst mit welschem Tand / sie pflanzen uns in deutsches Land“, dann weiß man in der Rückschau, wie nah das Uraufführungsdatum dieser „Meistersinger von Nürnberg“ (21. Juni 1868) am deutsch-französischen Krieg lag.

Dieser machte 1870/71 jeglicher Annäherung zwischen den verfeindeten Nationen endgültig den Garaus. Das unverhohlene Überlegenheitsgefühl, das noch aus den programmatischen Anmerkungen eines Richard Strauss spricht, sagt viel über das Selbstverständnis deutscher Kulturschaffender jener Ära aus.

„Welscher Dunst und Tand“. Dieses Selbstverständnis prägte nolens volens auch die Ausrichtung der Festspiele, obwohl sie von Hofmannsthal ausdrücklich zur Verständigung zwischen den Kulturkreisen ausgelegt waren. Lange Zeit geriet das Programm diesbezüglich doch recht einseitig.

Zwar inszenierte Max Reinhardt nebst Goethe, Schiller oder Shakespeare auch Komödien von Carlo Goldoni und Molière, doch französische Oper gab es, vom deutsch-französischen Spezialfall Gluck einmal abgesehen, in Salzburg noch lang nicht.

Auch Italiener nahm man nur sehr zögerlich in den Spielplan auf – Gaetano Donizetti und sein „Don Pasquale“ blieben einsame Vorreiter. Und ab 1933, als es gelang, den großen Arturo Toscanini den Bayreuthern abzuwerben, weil der aufrechte Maestro unter dem Hakenkreuz nicht zu dirigieren wünschte, hatte die Hereinnahme von Verdis „Falstaff“ (ebenso wie die Tatsache, dass man den antifaschistischen Italiener ausgerechnet die „Meistersinger“ dirigieren ließ) durchaus den Charakter eines politischen Statements.

Es war, Ironie des Schicksals, der deutsche Dirigent Wilhelm Furtwängler, der nach Toscanini die erste große Verdi-Premiere in Salzburg leitete: Dem „Otello“ von 1951 folgten dann in der Ära Karajan wiederum „Falstaff“ und – bald (vielleicht dank der Schiller-Vorlage?) das meistgespielte Salzburger Verdi-Drama: „Don Carlos“. „Macbeth“ kam als weitere Shakespeare-Adaption zu Festspielehren. Später folgten – und das war nun als lyrische Anverwandlung von Sprechtheaterklassikern nicht mehr zu rechtfertigen – unter heftigem Protest auch „Trovatore“ und „Aida“.

„Wo bleibt denn da die Salzburger Dramaturgie?“, ätzten Kritiker. Das Publikum schien zu antworten: Franco Corelli und Mirella Freni sind uns Dramaturgie genug. „Un ballo in maschera“ hat Karajan dann noch einstudiert, konnte die Premiere aber nicht mehr dirigieren. In jenem Todesjahr Karajans, 1989, erschien mit der Übernahme der „Tosca“ von den Osterfestspielen auch erstmals der Name Giacomo Puccini in einem Salzburger-Festspiele-Opernprogramm. Und es hat mit den ästhetischen Vorbehalten des nächsten Festspielchefs, Gerard Mortier, zu tun, dass das so bald nicht mehr vorkommen sollte.

Aus dem politischen war längst ein ästhetischer Chauvinismus geworden, gegen den es interessanterweise ein Belcantist vom Format Gioacchino Rossinis immer leichter hatte als etwa die großen Franzosen – von Bizet einmal abgesehen, den schon Nietzsche zum Wagner-Gegenpapst stilisiert hatte. Die „Carmen“ dirigierte Karajan ab 1966 wiederholt im Festspielhaus.

Polyglott sind die Spanier. Apropos Chauvinismus: Das meiste, das uns „spanisch vorkommt“, stammt nicht von der iberischen Halbinsel: Ob „Carmen“, spanisches „Capriccio“ oder „Rhapsodie espagnole“ – die Autoren waren Franzosen, Ungarn oder Russen. Und Sevilla wurde, wenn wir schon dabei sind, auf solch polyglotte Weise zum meistbegangenen Opernterritorium auf Salzburger-Festspiele-Bühnen: Rossinis „Barbier“, der schon 1939 Salzburg-Debüt feiern durfte, Mozarts „Figaro“ und „Don Giovanni“ sowie Beethovens „Fidelio“.

Nebenbei bemerkt, spielt ja sogar der zweite Aufzug von Wagners „Parsifal“ südlich der Pyrenäen. Zum Glück siedelt dort die Verkörperung des absolut Bösen, sonst kämen uns vielleicht noch die Bayreuther Festspiele in die Sinnkrise.
Für Dünkel ist jedenfalls kein Platz. Auch dann nicht, wenn man im Salzburger-Festspiele-Bezirk seit Neuestem – wiewohl lediglich konzertant – sogar Jules Massenet zu Ehren kommen lässt und seit geraumer Zeit auch Gounod spielt. „Romeo und Julia“ war ein Riesenerfolg.

Und auch der „Faust“, der noch in den frühen Siebzigerjahren in deutschsprachigen Landen vorsichtshalber „Margarethe“ geheißen hat, ist heutzutage kein Wagnis mehr. Ging es Hofmannsthal nicht einst um wurzeltiefen europäischen Kulturaustausch?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2016)

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