Staatsoper: Wagners Musik macht szenische Unbill wett

(c) Staatsoper/Michael Poehn
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„Lohengrin“ mit phänomenaler Sängerbesetzung, dem Bayreuther Siegfried als Debütanten in der Titelpartie, von Yannick Nézet-Séguin mit großer Dichte dirigiert. Musiktheater „wie in guten alten Zeiten“.

Wagners „Lohengrin“ markierte gleich am zweiten Tag der neuen Staatsopern-Spielzeit einen Höhepunkt: Die Aufführung geriet unter Yanick Nézet-Séguins umsichtiger Leitung zum Fest der Stimmen und des musikdramatischen Musizierens. Wobei die kurzfristige Absage Klaus Florian Vogts dessen Kollegen Stefan Vinke zum vorgezogenen Staatsopern-Debüt verhalf. Der Bayreuther Siegfried sollte in dieser Partie auch im kommenden Wiener „Ring“ das erste Mal auf der Bühne stehen. Nun sang er den Lohengrin – mit einer Tenorstimme, die, was die Tongebung anlangt, derjenigen Vogts gar nicht unähnlich ist, doch schwerer, heldischer wirkt. Viel Kraft hat er angesichts der Stimmgewalt, die ihn in der Reprise der Homoki-Inszenierung umgibt, auch nötig. Weder das Orchester noch der diesmal wirklich gewaltig tönende Chor müssen auf die Solisten Rücksicht nehmen: Dass Wagner etwas für vokale Schwergewichte ist, kann man hören – und genießen.

Ricarda Merbeth zuvorderst: Kaum jemand vermag heute die Elsa so perfekt, so innig schön und mühelos zu singen, den lyrischen Momenten alle Verhaltenheit zu sichern, die Intensität aber im Brautgemach bis zum Äußersten zu steigern, ohne die Gesetze des Schöngesangs je zu übertreten.

Eine Meisterleistung, über deren Integrität die Gegenspielerin Ortrud auch mittels Entfesselung ungeheurer Kraftfeserven – ganz im Sinn von Wagners Dramaturgie – zuletzt doch nicht obsiegen darf: Petra Langs imposanter Gesang, weit erhaben über die hemdsärmelige Darstellung dieser Fürstin der Finsternis, die ihr von der Regie abverlangt wird, bringt viele Schichten einer vertrackten Persönlichkeit zum Klingen: Häme, verletzter Stolz und – in ihnen steckt fühlbar das größte Gefahrenpotenzial! – geflüsterte, gleichwohl messerscharf artikulierte Intrigen-Töne. Der sensationelle vokalpsychologische Cocktail explodiert in dem Fluch „Entweihte Götter“. Man hat ihn effektsicherer in diesem Haus lang nicht mehr gehört.

Der künftige Met-Chef modelliert

Von so viel negativer Energie angestachelt, entfaltet auch der Telramund des Tomasz Konieczny seine beißende Bösartigkeit immer ungenierter. Im Mittelakt scheinen die packenden Musiktheatermomente Schlag auf Schlag herauszuwachsen – wie in guten, alten, noch nicht auf puren Schöngesang fixierten Operntagen. Günther Groissböck als wirklich respektgebietender König, Boaz Daniel als ebensolcher Heerrufer komplettieren das in unseren Zeiten kaum egalisierbare Solistensextett.

Nézet-Séguin nutzt sein seit der Ernennung zum künftigen New-Yorker-Met-Chefdirigenten in den Augen des Orchesters offenbar deutlich gewachsenes Ansehen, um mit knappen, klaren Gesten ein Maximum an Edelklang zu erbitten; er bekommt es: Weit geatmete Bögen gehören vom nahtlos entfalteten Crescendo des Vorspiels an zum Markenzeichen dieser Aufführung. Die dynamische, vielschichtig modellierte Streichermelodie am Ende des Dialogs Elsa/Ortrud gehört ebenso zu den Memorabilia des Abends wie der breit angelegte, aus zarten Holzbläsersoli konsequent bis zum jähen Zusammenbruch gesteigerte Zug zum Münster, das leider dank Bühnenbildner Gussmann keines sein darf. Dennoch haben sich's die Wiener mit dem neuen „Lohengrin“ nach der Barrie-Kosky-Katastrophe aus der Holender-Ära ein wenig verbessert, denn zumindest die Personenführung hat Methode. Musikalisch aber: hingehen, anhören!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2016)

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