Carmen: Die erfreuliche Leichtigkeit der Tragödie

Carmen
Carmen(c) Staatsoper - Michael Poehn
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Bizets „Carmen“, gänzlich neu besetzt, rundet als spektakuläre Ensembleleistung den Dreisprung zum Saisonauftakt im Haus am Ring ab. Die grandiose Elena Maximova macht das Werk zum subtilen psychologischen Verwirrspiel.

Bizets „Carmen“ dient oft als Vehikel der Schaustellerei reisender Sänger, muss oft für hysterisch überzeichnete Selbstdarstellungstriebe von Primadonnen im tieferen Stimmfach herhalten. Von solchen Regungen ist Elena Maximova frei. Sie bietet eine Carmen der kunstvoll modellierten Zwischentöne. Serviert sie die Habanera noch als extrovertiertes, wenn auch nicht penetrantes Vorzeigekunststück angesichts der staunenden Menschenmassen auf Franco Zeffirellis immer noch imposanter Piazza, gerät ihr die Seguidilla schon als intimes, in raffiniert schillernden Pianofarben nur für Don José gesungenes Verführungsständchen. Der Kartenmonolog schließlich wird ohne falschen Nachdruck zur herben, unausweichlichen Todesbotschaft.

Und doch ist sich diese Carmen offenbar noch in dem Moment, in dem sie im Finale ihrem Liebhaber versichert, es sei vorbei, nicht ganz sicher; ihre tatsächliche Ablehnung wächst erst mit jedem Wort, mit dem das schwächliche, sich wütend aufbäumende Gegenüber seine Jämmerlichkeit bekundet bis zum Ekel: Brandon Jovanovich gibt diesen linkischen Antihelden und verzichtet wirklich erst in den Augenblicken, in denen er sich selbst zu vergessen scheint, auf die weiche, elegante Linienführung des französischen Stils. Den beherrscht er in wohl dosierter Mischung der Stimmregister perfekt.

Mit dem rechten, französischen Tonfall

Das hört man schon im agil phrasierten Duett mit der wunderbaren neuen Micaela von Cristina Pasaroiu, die an diesem Abend ebenfalls ihr Debüt feierte und nicht erst mit ihrer herzhaft strömenden Arie das Publikum erobert hat: Der jungen Dame mit dem hellen, hübsch metallisch schimmernden Sopran scheint eine große Karriere sicher.

Clemens Unterreiner dazu, der erstmals den Torero gab, rechtschaffen selbstbewusst und ohne Furcht auch vor den gefährlichen tiefen Regionen dieser Partie. Er fungiert als Aushängeschild für ein Ensemble, aus dessen Reihen man derzeit offenbar wohl vorbereitet die kleineren und kleinsten Partien liebevoll besetzt: Das Schmuggler-Quintett wie auch das Terzett im dritten Akt lässt charakteristische Stimmen hören, die aber perfekt miteinander harmonieren.

Dass die Nummern präzis abschnurren, ist Philippe Augin zu danken, der am Pult souverän nicht auf aufgesetzte Dramatikimpulse setzt, sondern auf die Geberlaune von Chor und Orchester. Das wirkt: Musiziert wird so zügig wie klangschön – allein die Holzbläsersoli und -dialoge in den Zwischenakten sind ein kammermusikalischer Hochgenuss, sanfte Intermezzi im bösen Spiel, das sich dank der Spielfreude der Darsteller brisant verdichtet: Große Tragödie zuletzt – bis dahin herrscht jener romantisch-distanzierte Ton der Opéra comique, von dem Nietzsche (auf Wagner gemünzt) meinte: „Diese Musik schwitzt nicht.“ Aber dem Publikum wird warm ums Herz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2016)

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