Staatsballett: Aschenputtels Schuhe schweben

(C) Wiener Staatsballett/ Ashley Taylor
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Bei Choreograf Thierry Malandain trägt das Böse Glatze und ist lächerlich – die Liebe aber ist überwältigend. „Cendrillon“ an der Volksoper: flott, lustig, beglückend.

Was für ein Auftritt! Während Aschenputtel versonnen die Schuhe ihres Vaters putzt, platzen die drei schrillen Damen in die Szenerie wie Drag Queens in eine Klosterausspeisung: László Benedek schwingt sich als Stiefmutter auf Krücken über die Bühne, als wäre er beim Geräteturnen. Stolz, herrschsüchtig und gemein ist diese Person, die sich neben dem verwitweten Vater von Aschenputtel breitmacht wie eine Spinne – und die ihre eigenen Töchter nur deshalb ins Rampenlicht schubst, damit sie selbst besser dastehen kann. Die Szenen des Trios sind witzig bis clownesk – auch Samuel Colombet und Keisuke Nejime outrieren bis an die Schmerzgrenze, was den beiden sichtlich ebenso Spaß macht wie dem Publikum. Sie sind als kahlköpfige Stiefschwestern jedenfalls der absolute Albtraum – wie es sich gehört für diese bösen Mädchen, die ihre Lektion ja noch lernen werden ... wir sind hier schließlich im Märchen.

Und Aschenputtel? Mila Schmidt ist eine Tänzerin voll Ruhe und Einfühlungsvermögen. Sie versteht es, sich im grauen Kleidchen brav im Hintergrund zu halten, um die Stiefmutter und die Schwestern nicht zu provozieren, man spürt aber von Anfang an auch die in ihr schlummernde Prinzessin. Um sich zu verwandeln, wird sie später kein ausladendes Kostüm, keinen Firlefanz benötigen – ein weißes Hängerchen mit ein paar Pailletten drauf und das schnell gebändigte Haar reichen aus, um dieses Mädchen aus der Asche zu erheben – sie glänzt von innen.

Überhaupt übt sich Jorge Gallardo beim Bühnenbild und bei den Kostümen (mit Ausnahme des irren Stiefmutter-Stiefschwestern-Trios) in Schlichtheit. Das wirkt. Das stimmungsvolle Bühnenbild besteht nur aus wechselnden Lichtfarben und Dutzenden schwarzen Pumps, die an Drahtseilen die Wände zieren. Nichts lenkt den Blick ab von den bewegenden Momenten, von denen diese Geschichte so viele hat – und die in Sergej Prokofieffs Musik einmal jammernd, dann wieder jauchzend aus dem Orchestergraben dringen. Das Volksopernorchester wird effektvoll dirigiert von Guillermo García Calvo.

Kein erhobener Zeigefinger

Choreograf Thierry Malandain versteht es, die psychologische Komponente des Märchens erlebbar zu machen. Die grausame Schwiegermutter mit ihren ekelhaften und dummen Töchtern schaut mit Glatze und in teils grotesker Aufmachung nicht nur niederträchtig aus, sondern lächerlich. Das macht den Schrecken erträglicher – auch wenn es manchmal gar zu klamaukhaft wird. Manchmal nimmt die Geschichte auch Wendungen, die über das Original hinaus gehen – etwa wenn sich die beiden bösen Schwestern im Ballettsaal einfinden, um mit den Eleven zu trainieren. Auch das ist ein komischer Moment, weil die Tänzerinnen an einer Stange tanzen, die sie selbst halten müssen – und die beiden fiesen Neuankömmlinge die anderen schubsen und verjagen. Malandain will nicht mit erhobenem Zeigefinger die Moral der Geschichte predigen, er will unterhaltsam und flott von dieser erfrischend unstandesgemäßen Liebe erzählen, die den Zuschauer beglücken und berühren soll – und das gelingt.

Die zwei sind auch ein wirklich schönes und harmonisches Paar: Andrés Garcia-Torres glänzt als Prinz ohne Starallüren. Er wird im wahrsten Sinn des Wortes von Aschenputtel umgehauen – und liegt von Emotionen überwältigt auf dem Boden (sie übrigens auch). Wenn die beiden einander die Hand geben, dann sieht man einen elektrisierenden Schauer durch ihre Arme und Körper laufen – die Schmetterlinge im Bauch kann man sich leicht dazu ausmalen. Und wie so oft an der Volksoper sind es nicht die bekannten Solisten, die hier auftrumpfen, sondern zwei Mitglieder des Corps de Ballet, die über sich hinaus wachsen dürfen und diese Chance bravourös nützen.

„Cendrillon“: 17., 27. November.; 5. Dezember.; 16., 22., 26., 29. Jänner; Volksoper; www.volksoper.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2016)

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