Eine neue Dirigenten-Hoffnung kommt aus Polen

Symbolbild Wiener Konzerthaus
Symbolbild Wiener Konzerthaus(c) Michaela Seidler
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Die Symphoniker bescherten ihrem Publikum im Konzerthaus anlässlich der traditionellen Aufführung von Beethovens Neunter Symphonie zum Jahreswechsel die Begegnung mit einer veritablen Zukunftshoffnung: dem 34-jährigen Polen Krzysztof Urbánski.

Bernsteinpreisträger und Gastdirigent der NDR Elbphilharmonie ist der 34-jährige Pole Krzysztof Urbánski. Am Pult der Wiener Symphoniker legte er im traditionellen Silvesterkonzert im Großen Konzerthaussaal eine bemerkenswerte Talentprobe ab. Beethovens Neunte hat in diesem Rahmen nicht oft so gut geklungen.

Im wahrsten Sinne des Wortes. Urbánski ist nämlich offenkundig zuallererst einmal ein exzellenter Klangregisseur. Er überlegt sich, wann welche Bläserpartien in dem heikel auszubalancierenden Werk zu verdoppeln sind und wie zu allen Zeiten, auch während der dichtesten Bewegung im zerklüfteten, ob seiner klanglichen Dichte berüchtigten Kopfsatz das Klanggewebe gut durchhörbar bleibt.

Allein das sichergestellt zu haben, garantiert diesem aufstrebenden Dirigenten schon einen Spitzenplatz in der wienerischen Beethoven-Silvesterhierarchie. Zudem ist Urbánski auch imstande, mittels klug differenzierter Tempodramaturgie die knapp mehr als einstündige Aufführung übersichtlich zu strukturieren, aber auch stetig im Fluss zu halten.

Das Werk beginnt tatsächlich „un poco maestoso“, majestätisch, aber nicht zu sehr, die Steigerungsbögen entladen sich gewaltig, aber nicht forciert.

Vivace, das heißt: lebendig!

Das Scherzo versteht sein „vivace“ aus der Lebendigkeit der Artikulation, nicht aus einem Geschwindigkeitsrausch. Nur ein paar Takte lang, just dort, wo sich der Kapellmeister in jugendlichem Überschwang zu vergessen scheint und mehr als Musikdarsteller denn als streng wachender Herr der Lage agiert, droht die in diesem Satz nicht selten zu beobachtende, ungezügelte Überholjagd der einzelnen Orchestergruppen. An diesem Abend ist man sich jedoch schnell wieder einig und nimmt das Trio dann zwar, wie vorgeschrieben, „presto“, aber doch ruhig genug, um die Vorahnung des „Freude-Themas“ in den Holzbläsern merklich aufblühen zu lassen.

Die durchwegs fließende Gangart bleibt dann auch im Adagio gewahrt – hier sind es die tänzerischen, zart bewegten Figurationen, an denen Urbánski sich orientiert; kein Versuch, durch sonderlichen Nachdruck inhaltliche Tiefe zu beschwören. Der Musik haftet keine Erdenschwere mehr an. Sie bildet so den Gegenpol zu den ersten beiden Sätzen, deren Impetus gegen Ende des Satzes in zwei jäh hereinbrechenden Schlägen wiederkehrt, um die ersten Takte des Finales, energisch vorangetrieben, zu beherrschen.

Da regiert der Tumult, aber nirgendwo gegen die Gesetze der Klangschönheit gebürstet: Die Symphoniker zeigen sich von ihrer edelsten Seite; nicht zuletzt die Bläser brillieren – auch in jenen Momenten, in denen ihre Stimme sonst meist vom allzu dichten Stimmengewühl verschlungen zu werden droht.

Exzellent und ebenso harmonisch tönt die von Heinz Ferlesch vorbereitete Singakademie – und, apropos Durchhörbarkeit, im Solistenquartett ist sogar die Altstimme von Marianna Crebassa gut zu vernehmen, hat Simone Kermes keine Angst vor den notorisch unangenehmen hohen und höchsten Tönen, bleibt der Tenor Maximilian Schmitts in der – ungewohnt zügigen – Marschepisode bis zum „heldisch siegreichen“ Showdown beweglich und klar vernehmlich.

Die Notwendigkeit zur Einkehr und Besinnung auf die rechte Lebensfreude besingt Florian Boesch so machtvoll wie überzeugend. Das Jahr verabschiedete sich dank einer veritablen Dirigenten-Entdeckung also noch mit einiger Größe: Da gibt es ja offenbar doch allerhand Zukunftspotenzial für das Musikleben – diese Neunte fungierte im Konzerthaus schließlich auch als Neujahrskonzert 2017 . . .

(Print-Ausgabe, 02.01.2017)

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