Lang Lang missdeutet Musik als Leckerei

Lang Lang missdeutet Musik
Lang Lang missdeutet Musik(c) AP (MATTHIAS RIETSCHEL)
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Der chinesische Pianist begeistert die Massen, brilliert technisch – und degradiert dabei die Musik.

Er ist ein Popstar. Und als solcher braucht er auch ein Mindestmaß an Inszenierung. Da passt es zum Beispiel gar nicht, wenn zwei Plätze in der ersten Sitzreihe auf dem Podium frei zu bleiben drohen. Immerhin wird mit Mikros und Kameras mitgeschnitten – und gerade bei der ersten Veröffentlichung unter neuer Flagge, denn Lang Lang hat ja seine Plattenfirma gewechselt, soll es nicht gleich so aussehen, als würde das Interesse der Fans ermatten. Da diskutiert also eine Dame vom Filmteam mit den Besuchern, füllt die Sitze aus den hinteren Reihen auf. Bis dann nach dem ersten Werk die zu spät Gekommenen ihre Plätze beanspruchen wollen und sich reinste Loriot-Szenen anbahnen...

Dergleichen wäre alles irrelevant und längst vergessen, wenn Langs Interpretationen so einprägsam gerieten, wie es seine manuellen Fähigkeiten erhoffen ließen. Sie sind es nicht. Stattdessen wirkt der chinesische Pianist bei seinem Umgang mit egal welchen Stücken wie der staunende Charlie in der Schokoladenfabrik: Er missdeutet sie als endlose Kette klingender Leckereien, von deren Süße oder irrem Brausepulver-Prickeln er seine Hörer mit allen Mitteln überzeugen will – inklusive mal lächelnd verzückter, mal lächelnd beifallheischender Blicke, die er ins Publikum wirft und bei denen unklar bleibt, ob er sich an den Tönen, seiner eigenen Fingerfertigkeit oder an beidem berauscht.

Gehaltvoll wie eine Etüde von Czerny

An einzelnen Stellen hebt er doch glatt in expressionistischer Geste den Handrücken vor den offenen Mund, als wäre er einem Stummfilm entsprungen. Statt einer fesselnden dramatischen Erzählung kommt sein Spiel einer Delikatessenverkostung gleich, bei der einem bald der Appetit vergeht. Was nützt es, wenn etwa die Appassionata im vielleicht schnellsten Prestissimo seit Menschengedenken ihrem Ende zurast, wenn die Klänge gänzlich inhaltsleer bleiben? Ein Zug der Lemminge auf Speed als Abschluss einer Sonate, die ungefähr so gehaltvoll wirkte wie eine Etüde von Czerny. Egal, was Lang an seinem in geradezu überspannter Weise auf brillant frisiertem Flügel anpackte, ob Beethoven, „Iberia“-Piècen von Albéniz, die donnernde siebente Prokofjew-Sonate sowie als Zugaben im Chopin-Jahr eine ganz kandierte As-Dur-Etüde op. 25/1 oder die mit bedenklichem Nachdruck und Geschwindigkeit in die Tasten gehämmerte Polonaise op. 53: Er macht Musik zur schönsten Nebensache der Welt. Da mag sogar passen, dass viele Konzertbesucher auch zwischen den Sätzen begeisterten Applaus spenden – als Ansporn für den Hochleistungssportler, der Rekorde in zuckrigen Häppchen liefert. Ein Jammer, der allgemeine Jubel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2010)

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