Staatsoper: "Mehr Raum für Zeitgenössisches!"

Dominique Meyer
Dominique Meyer(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der künftige Staatsopern-Direktor Dominique Meyer über die Zukunft der Oper, warum das Zelt für Kindertheater am Dach abgeschafft wird, zornige Diven, Gelassenheit – und seine Enttäuschung über Politik in Frankreich.

„Die Presse": Wie beurteilen Sie die Zukunft der Gattung Oper - und der Staatsoper im Besonderen. Wie schaut es mit dem Budget aus? Die Wiener Philharmoniker, die im Staatsopernorchester spielen, verlangen mehr Geld.

Dominique Meyer: Zunächst einmal: Das Gras von früher ist immer grüner, das gilt auch für die Oper. Wir hängen zu sehr an der Vergangenheit. Das Interesse an der Oper ist da, auch bei den jungen Leuten. Die Künstler sind zahlreicher denn je zuvor, bei den Komponisten wurde das Interesse an dieser Gattung wieder erweckt. Mich beeindrucken außerdem die technischen Fortschritte in der Oper, zum Beispiel das Licht. Was man da jetzt alles machen kann! Das gilt natürlich nicht nur für die Oper, sondern auch für das Ballett, das künftig der weltbekannte Tänzer Manuel Legris führen wird. Das Ballett liegt mir besonders am Herzen. Über den Spielplan möchte ich noch nichts sagen, es gibt eine Pressekonferenz. Sonst wird zu viel geredet. Es soll mehr Neuinszenierungen geben, gelegentlich eine Barockoper. Das Budget möchte ich nicht über die Zeitung thematisieren. Wir werden eine ernsthafte Diskussion führen müssen.

Das Zelt auf dem Dach der Staatsoper wird abgeschafft. Wieso? Das dortige Kindertheater ist seit Jahren enorm erfolgreich.

Meyer: Das Denkmalamt hat uns bis 2011 eine Frist gegeben. Ich hoffe allerdings, dass es noch weitergehen wird. Zusätzlich werden wir Kinderoper im Haus zeigen. Durch die Probebühne im Arsenal, die wir bekommen, wird alles leichter. Diese Neuerung ist für uns sehr wichtig.

Die Jugend liebt die iPods. Was gibt es für technologische Innovationen, die der klassischen Musik Impulse geben?

Meyer: Die größte Neuerung ist, dass berühmte Konzert-und Opernhäuser Abonnements für ihre Aufführungen verkaufen. Man zahlt und schaut Premieren, Vorstellungen aus Paris oder New York im Fernsehen oder am Computer an. Das ist ein ganz neues Geschäftsfeld.

Sie pendeln zwischen Paris und Wien. Sind Sie gestresst? Was tun Sie zur Entspannung?

Meyer: Nein. Ich beruhige mich von Paris in Wien und umgekehrt. Das Wichtigste für mich ist meine Familie. Und Musik hören. Ich gehe jede Woche CDs kaufen. Die CDs und die Bücher, eine Katastrophe ist das in meiner Wohnung. Ich habe schon so viele Aufnahmen gekauft, aber es kommen immer neue Künstler, die ich schätze. In meiner Freizeit lese ich, ich habe immer mehrere Bücher, Stefan Zweig, Diderot. Außerdem lese ich ein Buch über Ludwig XIV.

Verlieren Sie nie die Contenance?

Meyer: Das entspricht nicht meiner Natur. Ich erlebe nicht zum ersten Mal eine stressige Zeit. Ich war im Ministerium in Frankreich, kurz vor Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht. Es gab riesige Währungsspekulationen. Da musste man auch ganz ruhig bleiben. Ich war Generaldirektor in der Pariser Bastille-Oper, als der frühere französische Präsident Mitterrand einen großen Festakt zur Erinnerung an die Französische Revolution mit vielen Staatschefs veranstaltet hat. Die Bastille-Oper war aber nicht fertig, ständig ist der Strom ausgefallen. Es hat am Ende trotzdem funktioniert.

Was denken Sie über zeitgenössische Oper? Wird sie einen Platz haben im Repertoire?

Meyer: In Paris ist es tödlich, wenn Leute aus einer Uraufführung hinausgehen und sagen: „Das war interessant." Aber es gibt jetzt wieder zeitgenössische Opern mit Musik, die ins Ohr geht. Was der Staatsoper fehlt, ist ein Raum für zeitgenössische Werke.


Zornige Diven, die ins Büro des Direktors stürmen und sich beschweren, gibt es das?

Meyer: Das ist ein Klischee. Ich habe keine Angst vor wütenden Diven. So etwas kommt nur in Filmen vor. Das existiert nicht in der Wirklichkeit. Ich hatte noch nie eine schlechte Beziehung zu einem Künstler.

Als Staatsoperndirektor hat man eine große Verantwortung für eine Menge Leute und viel Budget - verglichen mit dem wesentlich kleineren Pariser Théâtre des Champs-Elysées.

Meyer: Das Théâtre des Champs-?lysées ist kleiner, es hat weniger Budget, aber auch ein viel kleineres Team. Da muss man sich um sehr vieles selber kümmern. Verantwortung. Ja. Natürlich. Die Oper ist eine große Verantwortung. Aber es ist auch relativ: Mein Bruder ist Arzt. Wenn er zu einem Termin zu spät kommt, ist der Kranke vielleicht schon tot. Also das ist ein klarer Unterschied zu einem Operndirektor.


Die Wirtschaftskrise scheint sich zu mildern. Aber vielleicht kommt bald die nächste. Was meinen Sie als studierter Wirtschaftswissenschaftler? Wird es so weit kommen, dass unsere Ersparnisse verschwinden?

Meyer: Das kann man nicht vorher sagen. Die Krise ist nicht vorbei. Es ist eine sehr schlimme Krise, es kann noch schlimmer kommen. Staatsbankrott wie in Griechenland, das erinnert an die Dreißigerjahre.


Was meinen Sie zum Skandal bei den Salzburger Festspielen, wo es beim Osterfestival wie im Sommer Unregelmäßigkeiten gab und nun der Staatsanwalt wegen Betrugs und Untreue ermittelt? Ist die Kultur korrupt?

Meyer: Nein. Ich lese seit vielen Jahren regelmäßig viele Zeitungen, bin schon lange in der Kultur beschäftigt. Ich habe so etwas noch nicht erlebt, auch nicht gehört davon. Für Salzburg ist diese Affäre sehr traurig.


Gibt es etwas, das Sie veranlassen würde, sich aktiv politisch zu betätigen? Sie waren früher für verschiedene Ministerien tätig.

Meyer: Ich habe mich von der Politik getrennt, weil ich das Gefühl habe, dass die Politiker, zumindest in Frankreich, vermitteln alles zu können, gleichzeitig jedoch im tiefsten Inneren wissen, dass sie tatsächlich nicht mehr viel bewegen können. Manchmal habe ich den Eindruck, die Politiker würden das Pferd gerne führen, haben jedoch die Zügel verloren. Ich habe noch zu einer Zeit im Ministerium gearbeitet, als man, nicht für die ganze Welt, aber doch konkret etwas bewirken konnte. In den letzten Jahren wurden viele Gesetze für Sicherheit gemacht. Es gibt aber dennoch nicht mehr Sicherheit. Aus jedem kleinen Ereignis kann heute ein neues Gesetz gemacht werden. Das ist viel zu emotional. Die Sicherheit ist auch oft ein Vorwand dafür, dass die Polizei mit Leuten sehr hart umgeht. Ich bin in Paris sehr viel U-Bahn gefahren. Ich habe ein einziges Mal einen Diebstahl erlebt.

Es gibt eine starke rechtsradikale Bewegung in Frankreich, der Kopf war lange Jahre Jean-Marie Le Pen. Wie wirkt sich das aus?

Meyer: Ich glaube, diese Bewegung ist rückläufig. Le Pen ist ein sehr guter Schauspieler. Aber jetzt ist er alt.


Allerdings: Die Franzosen diskutieren, was französisch ist. Ist das bedenklich, grotesk oder schlichtweg berechtigt bei den vielen Ausländern, die in Frankreich leben?

Meyer: Diese Geschichte war glücklicherweise so schnell wie sie gekommen ist, auch schon wieder vorbei. Ich halte das, um ehrlich zu sein, für Humbug, reinen Unsinn. Der Mann, der diese Debatte losgetreten hat, war früher links. Jetzt ist er rechts. Es ist gerade das Schöne an Frankreich, dass es so vielfältig ist. Ich selbst komme aus einem Dreieck verschiedener Kulturen.


Könnten Sie auf einer Insel leben?

Meyer: Nein. Ich bin ein Großstädter. Stadtleben ist für mich absolut essenziell. Ich fahre aber gern nach Thann (Elsass), meine Mutter lebt dort. Und ich habe ein kleines Häuschen auf einer Insel in der Bretagne.

AUF EINEN BLICK

■ Dominique Meyer wurde am 8. 8. 1955 im Elsass geboren. Sein Großvater war Bauer, sein Vater Militärattaché. Er studierte Wirtschaft, arbeitete im Industrieministerium. Jack Lang holte ihn ins Kulturministerium. 1994–1999 war Meyer Generaldirektor der Oper von Lausanne, 1989–1990 Generaldirektor der Pariser Oper. Seit 1999 leitet Meyer das Théâtre des Champs-Elysées.

■ 2007 berief ihn Ministerin Schmied an die Staatsoper, wo er ab Herbst 2010 amtiert.

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