Das Kindermädchen, aus dem die Aida wurde

Hilde Zadek im Oktober 2012, im Rahmen der Überreichung des "Großen Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich" in Wien.
Hilde Zadek im Oktober 2012, im Rahmen der Überreichung des "Großen Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich" in Wien. (c) Herbert Pfarrhofer, APA
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Hilde Zadek, ein treues Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, starb mit 101 Jahren. Ein Nachruf.

„Diese Aida singe ich, tot oder lebendig.“ Mit diesen Worten sprach sich eine Sopranistin Mut zu: Hilde Zadek, vom Wiener Operndirektor Franz Salmhofer soeben für tauglich befunden, ins Ensemble aufgenommen zu werden, stand vor einer schicksalhaften Entscheidung. „Können Sie die Aida singen?“, hatte er die gerade nach einem Vorsingen engagierte junge Dame gefragt. Für die zwei Tage später geplante Verdi-Aufführung hatte gerade die Titelheldin abgesagt. „Natürlich kann ich die Aida singen“, gab Hilde Zadek vollmundig zurück. In Wahrheit, so gestand sie anlässlich eines Interviews, das war viele Jahre später, hatte sie die Rolle noch nicht einmal gelernt!

Gehöriger Mut war der Mittzwanzigerin nicht abzusprechen. Knappe zwei Tage zur Einstudierung einer der anspruchsvollsten Sopranpartien des Verdi-Fachs, das bedeutet auch für ein eminentes Talent eine herkulische Aufgabe. Der tollkühne Akt gelang. Es ist nicht immer die Frechheit, die siegt. Ums Können ging es in diesem Fall.

Ein Vierteljahrhundert Mythos. Hilde Zadek konnte – und war in der Folge mehr als 25 Jahre lang ein treues Mitglied des Wiener Staatsopern-Ensembles, Teil jener Mannschaft, die nicht zuletzt den legendären, für alle Welt gültigen „Mozart-Stil“ ausformte, Teil eines ganz besonderen Musiktheater-Systems, das bis heute nicht nur in der Wiener Kulturgeschichte geradezu mythischen Rang einnimmt. Eine solche Karriere war der in Bromberg in der Provinz Posen gebürtigen Sängerin nicht an der Wiege gesungen worden. Von einem äußerst disziplinierten Vater erzogen, musste es ein „ordentlicher Beruf“ sein, den die Tochter erlernen sollte. Im väterlichen Schuhgeschäft verdiente sie sich das erste eigene Geld und finanzierte ihre Ausbildung – zur Krankenschwester.

Das dabei erworbene Können hat ihr nach der Flucht vor dem Nationalsozialismus das Leben gerettet: In der Emigration in Palästina wurde Hilde Zadek zur Säuglingsschwester. Und das einschlägige Fachwissen öffnete ihr nach 1940 in der Schweiz alle Türen – kurioserweise auch jene in die Opernwelt: Als gesuchtes Kindermädchen kam Hilde Zadek nämlich ausgerechnet in die Dienste einer jungen Mutter, die Patentochter Franz Salmhofers war.

Also durfte dann die offenkundig so musikalisch talentierte Nanny dem Patenonkel in Wien vorsingen – und, wie schon geschildert, auch ein bisschen etwas vorlügen: Mit der dieserart usurpierten Aida schloss sich der unüblich verschlungene Vorbereitungskreis: Aus der ehemaligen Schuhverkäuferin und Säuglingsschwester Hilde Zadek war eine Opernsängerin geworden.

„Mein Leben ist eine Verkettung von unglaublichen Zufällen“, kommentierte die Künstlerin später mit der ihr eigenen Dankbarkeit selbst. Dem Staatsopern-Debüt unter der Leitung von Josef Krips, dem „Vater des Mozart-Ensembles“, folgten – anfänglichen antisemitischen Anfeindungen zum Trotz mit Liebe absolvierte – beinah 800 Vorstellungen im Wiener Haus am Ring. Wobei die Marschallin in Richard Strauss' „Rosenkavalier“ zu Zadeks deklarierter Favoritin wurde.

Carlos Kleiber am Klavier. „Die Marschallin“, so wusste die bis zuletzt sprühend eloquente Sängerin zu erzählen, „habe ich übrigens in Düsseldorf mit einem Korrepetitor erarbeitet, der dann ziemlich berühmt werden sollte.“

Niemand Geringerer als Carlos Kleiber hat die Zadek also damals bei seiner und ihrer Lieblingsoper am Klavier begleitet, als sie das erste Mal räsonieren durfte: „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.“ Nachsatz der Zadek: „Der Kleiber war schon damals absolut genial . . .“

Für ihre zahllosen Studenten, die sie nach dem Ende ihrer aktiven Sängerinnenkarriere als Lehrerin betreute, hatte sie stets eine Mixtur als Grundrezept für eine Laufbahn bereit, die sie für unabdingbar hielt: „Persönlichkeit und Technik“, lautete ihr Wahlspruch. Wer die Balance zwischen diesen beiden Polen finde, schaffe den Sprung auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Nach Hilde Zadek ist seit 1999 ein eigener Gesangswettbewerb benannt, den sie stets mit wachem Interesse verfolgte. Im Dezember 2017 durfte sie noch ihren 100. Geburtstag feiern. Vergangenen Freitag ist Hilde Zadek in Wien gestorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2019)

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