"Lulu": Grandiose Femme fatale

Lulu Grandiose Femme fatale
Lulu Grandiose Femme fatale(c) Oper Graz/Werner Kmetitsch
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In Graz überzeugt Regisseur Johannes Erathmit einer Neuproduktion von Alban Bergs "Lulu". Ashley Holland brilliert als machtloser Dr. Schön, Margareta Klobucar als Lulu.

Lulu“, wohin man schaut – bei den Wiener Festwochen, in Salzburg und am vorigen Donnerstag an der Grazer Oper, der erotische Sog der archetypischen Femme fatale scheint mehr en vogue zu sein denn je. Im Unterschied zur österreichischen Erstaufführung der dreiaktigen, damals von ihm selbst dirigierten „Cerha“-Fassung 1981 wählt man in Graz die zweiaktige Version, die von Ausschnitten des Berg-Violinkonzertes umrahmt wird. Diese überzeugende instrumentale „Requiem“-Montage verrät eingangs die leitende Intention der Regie, die Lulu nicht als eine Serie von Männerfantasieprojektionen zeigt, sondern ganz im Sinn Alban Bergs als eine eigenverantwortlich handelnde und ihre Erotik lustvoll empfindende Frau.

Spartanisch-unterkühltes Bühnenbild

Regisseur Johannes Erath erzählt Lulus Aufstieg und Fall in detailreich-nachvollziehbaren Bildern – konterkariert durch das spartanisch-unterkühlte Bühnenbild (Birgit Wentsch), das den durchgehenden Spannungsbogen im Keim erstickt –, irgendwie versteht man die ganze Aufregung nicht, die letale Drastik des fatalistisch abrollenden Handlungsstrangs verebbt zusehends. Jenseits des guten Geschmacks angesiedelt ist die Verlegung der Filmszene in ein Pornokino voll von onanierenden Machotypen.

Am Pult des konzentriert musizierenden Orchesters überzeugt Hausherr Johannes Fritzsch mit einer kompetenten, wenngleich meist zu lauten Meisterung der mörderischen rhythmischen Riffe und polyfonen Untiefen der Partitur, bleibt jedoch die dunkelleuchtende Glut und klangsinnliche Exuberanz der rollenden Musikwogen über weite Strecken hinweg schuldig. Während Lulus Freiheitsruf im zweiten Akt gelingt es ihm jedoch, eine erschütternde Ausdrucksklimax zu gestalten, das war großartig!

Auf hohem Niveau agierten die Sänger: fabelhaft Iris Vermillion als mondän-durchtriebene Geschwitz; stimmlich ansprechend, darstellerisch blass Taylan Memioglu als zu gutmütiger Maler; überzeugend Ashley Holland als machtloser Machtmensch Dr. Schön; souverän Konstantin Sfiris als verkommener Schigolch. Herbert Lippert gibt einen stimmlich kultivierten, prachtvollen Alwa, der darstellerisch zu wenig das komponierte, tödlich-ausweglose, erotomanische Komponistenselbstporträt Bergs vermittelt.

Bleibt noch, einen Strauß Blumen vor die Füße von Margareta Klobučar zu legen: Vokal erinnert ihre Lulu an Anneliese Rothenbergers beste Tage, darstellerisch verkörpert sie alle Facetten ihrer Rolle sensibel, durchdacht, gekonnt, erotisch ohne Peinlichkeit, von weiblicher Wärme wie von zynisch-eiskaltem Blut, durchdrungen von emphatischem Mitleid für die conditio humana – eine Meisterleistung!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2010)

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