Prokofieff mit Pappmachébrüsten

Hat der Regisseur Fellini missverstanden? Billiges Revuetheater mit viel Personal und Technik.
Hat der Regisseur Fellini missverstanden? Billiges Revuetheater mit viel Personal und Technik.(c) Prager Nationaltheater
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„Die Liebe zu den drei Orangen“ von Prokofieff im Prager Nationaltheater: Eine musikalisch eindrucksvolle Produktion voller Regiegeschmacklosigkeiten.

Wenig Naivität und Zauber in diesem Märchenreich, dafür viel Personal und plumpe Kulissen: Die neue Inszenierung von Sergej Prokofieffs „L'amour des trois oranges“ im Prager Nationaltheater wirkt, als wollte dieses vor allem zeigen, über welche Ressourcen es verfügt. Es wuselt wie in einem Ameisenhaufen: Individuen, Pärchen verliebt oder noch zu verkuppeln, Gesunde, Kranke, Ärzte, Professoren, Wichtigmacher, Zauberer, Intriganten, Gaukler, Tänzer, Artisten und viele andere mehr.

Jeder versucht sein Bestes, um die Grenzen zwischen Realität und Irrealität verschwimmen zu lassen. Da darf die Technik natürlich auch nicht fehlen: Eine begehrenswerte Prinzessin muss verschwinden, sie wird zur Hintergrundprojektion einer verzauberten Ratte. Fehlte dann nur noch ein versteckt aufgenommenes Video . . .

Die Ebenen purzeln durcheinander, ein verrücktes Quiproquo beherrscht Aktionen, Reaktionen und Emotionen, tschechische und englische Übertitel sollen dem Publikum helfen, den Faden nicht zu verlieren. Gespielt wird natürlich die französische Originalfassung, die von der Chicago Opera Company 1919 bestellt und 1921 uraufgeführt wurde.

Dies freche Theater zieht noch heute

In Wien war Prokofieffs Meisterstück zuletzt 2010 an der Volksoper zu sehen. Dessen stärkstes Atout ist wohl der unwiderstehliche Drive, der sich durch alle vier Akte zieht. Freches Theater in rasantem, dramatischem Deklamationsstil, zugleich ein farblich fein abgestufter musikalischer Fluss. Das hat in den Zwanzigerjahren eingeschlagen und zieht heute noch. Der Königsmarsch aus dem zweiten Akt ist längst Ohrwurm und eigenständiger Schlager geworden.

Der musikalischen Qualität der „Drei Orangen“ wird die Prager Neuproduktion nun eindrucksvoll gerecht. Chor und Orchester scheinen gewissenhaft und ausdrucksstark vorbereitet – Kapazitäten, die sich hören lassen können. Der junge englische Dirigent Christopher Ward hat das Zeug, den Klang zwischen impressionistischen Zügen und einer bizarr-grotesken Komik präzise formen zu können, ohne Tempo und Druck einzubüßen. Die Spannung überträgt sich auf die Bühne, wo ein mehr oder weniger verlässliches Ensemble am Werk ist.

Etwaige lokale Popularität von Charakterdarstellern erschließt sich natürlich dem heimischen Publikum. Dass etwa Eva Urbanová, eine Ikone des tschechischen Musiktheaters, die böse Zauberin Fata Morgana mit virtuosem Nachdruck ausstattet oder dass (allerdings unüblich) König Treff und die Köchin mit ein- und demselben basso comico (Zdeněk Plech) besetzt sind oder dass Aleš Briscein dem hypochondrischen Prinzen seinen flexiblen und klaren Tenor leiht – obwohl er aus Therapiegründen unbedingt lachen und sich später auf die Suche nach den drei Orangen machen muss. Von den darin versteckten Prinzessinnen verdursten die beiden ersten auf der Stelle, ehe die dritte (Maria Fajtová als Ninette) mit sopranigem Liebreiz den Prinzen ins Happy End begleiten darf.

Da allerdings ist die oberflächliche Inszenierung von Radim Vizváry längst in Plattheit und Geschmacklosigkeiten abgeglitten. Die drei Orangen werden vom Regisseur als Wunsch- und Fantasieziele in überdimensionierte Brüste aus Pappmaché mit roten Borsalinos an der Spitze umgedeutet. Da hatte wohl einer ein bisschen zu viel Federico Fellini geschaut und missverstanden. Er hätte lieber bei Giorgio Strehler nachschlagen sollen, wie Rasanz und Brillanz einer Vorlage von Carlo Gozzi im Sinne der Commedia dell'Arte umzusetzen wären. Sicher nicht als billiges Revuetheater wie hier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2019)

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