Festival Grafenegg: Feinarbeit, ganz "unamerikanisch"

Festival Grafenegg Feinarbeit ganz
Festival Grafenegg Feinarbeit ganz(c) APA (ERNST WEISS)
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Franz Welser-Möst - wenige Wochen vor Antritt seines Wiener Staatsopern-Amtes - und sein Cleveland Orchestra gastierten in Rudolf Buchbinders "Wolkenturm".

Geradezu schüchtern nimmt er die Ovationen des Publikums entgegen: William Preucil, der Konzertmeister des Cleveland Orchestra, das den Reigen der Freiluftkonzerte im „Wolkenturm“ von Grafenegg eröffnet hat. Franz Welser-Möst, wenige Wochen vor Antritt seines Wiener Staatsopern-Amtes auf Tournee mit seinem Konzertorchester, dirigierte nebst Schuberts „Tragischer“ Symphonie auch Richard Strauss' „Heldenleben“. Das war einst ein Lieblingsstück reisender Weltklasseorchester, ehe man nahezu flächendeckend auf Mahler und Schostakowitsch umschwenkte.

Tatsächlich lassen sich an der egomanischen Tondichtung von 1898 sämtliche Qualitäten demonstrieren, die ein Klangkörper von Format braucht. In einer Akustik zumal, die wie jene von Grafenegg jede kleinste Regung hörbar macht, die sich auf dem Podium begibt. Der „Wolkenturm“ macht den Klang transparent wie kaum ein Konzertsaal. Jedes Pizzicato der Solobratsche oder eines Sekundgeigers wird hörbar – gleich, ob rechtzeitig oder ein Atom zu früh platziert. Man kann solche akustischen Verhältnisse gnadenlos nennen. Oder perfekt, je nachdem. Für die technisch nahezu makellosen Clevelander sind sie perfekt.

Denn dieses Orchester musiziert trotz seiner Qualitäten gar nicht plakativ, hält Durchsichtigkeit der Strukturen als oberste Tugend hoch, wird im äußersten Fortissimo mächtig, aber nie lärmend – man spielt im Mittleren Westen also ganz und gar „unamerikanisch“. Das tut einem so reich und lustvoll instrumentierten symphonischen Bilderbogen, wie das „Heldenleben“ einer ist, gut. Es geht dann nicht um den Lack, sondern um das, was zu allem Überfluss auch noch hübsch lackiert wird.

Wider die garstigen Kritiker

Welser-Möst bringt die kompositorische Feinarbeit zum Klingen. Die einzelnen, sorgfältig voneinander getrennten Linien werden zum pittoresk-vielgestaltigen Klangkabarett, wenn Strauss seine Kritiker verspottet, sie verdichten sich kammermusikalisch zum reich changierenden, subtilen Vexierspiel („Des Helden Friedenswerke“). Sie verschmelzen auch in den kühnen kontrapunktischen Passagen des Werks nicht zum undurchdringlichen Knäuel, sondern atmen, jede für sich, frei und weit ausschwingend. Die große Liebesmelodie und den Abschiedsgesang lässt diese Spielweise zu anrührenden Erlebnissen werden – trotz vergleichsweise geradezu rasantem Tempo. Wer sich aufs Phrasieren versteht, braucht keine falschen Verzögerungseffekte, um darauf hinzuweisen, wie schön es gleich klingen wird...

Inmitten des Konzertmeisters berüchtigten Solos, noch im Angesicht der ärgsten Akkordgriffe sicher und selbstverständlich, dass das Publikum aus dem Staunen nicht herauskam.

Zuvor gab man Schubert, wie man ihn sich (im Andante) schlichter und inniger auch ein paar Kilometer vor Wiens Stadttoren kaum erträumen könnte. Allein die federnde Leichtigkeit, die das Orchester – nach einem, zugegeben, eher als Einspielmusik missbrauchten Stirnsatz – im Finale erreichte, hätte die Reise in den Grafenegger Park lohnenswert gemacht. Doch auch die Zugabe bezauberte: Das träumerische As-Dur-Zwischenspiel aus Richard Strauss' „Intermezzo“ führte aus den heroischen Regionen der Tondichtung zurück in die nächtliche Atmosphäre des Schlossparks. Ein Festspiel, fürwahr.

Übertragung in Radio Niederösterreich: am 1. November, 20.04 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2010)

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