Das Neujahrskonzert: "Nicht das Oktoberfest"

Neujahrskonzert Nicht Oktoberfest
Neujahrskonzert Nicht Oktoberfest(c) EPA (ANDREAS PESSENLEHNER)
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360 Grad Österreich: Das Neujahrskonzert ist das größte klassische TV-Ereignis der Welt, und alle wollen Statisten im Musikverein sein. Heuer wird das Konzert in 73 Ländern ausgestrahlt werden.

Nein, eine musikalische Herausforderung ist das Neujahrskonzert für die Wiener Philharmoniker nicht. Das würden sie natürlich nie zugeben, aber so ist es. Strauß ist nicht Mahler und der Radetzky-Marsch nicht Strawinskis Petrouchka.

Entsprechend entspannt gehen die Vereinsmitglieder das heurige Konzert an: Gleich bei der ersten Probe überreichte Vereinsvorstand Clemens Hellsberg ein kleines Geschenk an Franz Welser-Möst, der im langärmligen Polo-Shirt die Damen und Herren in Jeans und Pullover dirigierte. Oder eher: dirigieren darf. Denn das Orchester lädt dazu ein, daher sei das Neujahrskonzert der Philharmoniker für einen Dirigenten „ein bisschen wie ein Nobelpreis“, meint der Oberösterreicher.

Bei aller Entspanntheit, bei allem Spaß, dem man dem Publikum zugesteht: „Das Neujahrskonzert ist nicht das Oktoberfest“, stellt Welser-Möst fest. Und mit keinem anderen Konzert können sich die Wiener Philharmoniker ihren Ruf nachhaltiger verhauen als mit diesem.


50 Millionen TV-Zuseher. „Das ist ein Konzert, auf das die ganze Welt wartet“, sagt Heidelinde Rudy, und sie muss es wissen. Sie ist seit 18 Jahren dafür verantwortlich, dass das Konzert auch tatsächlich zu jenen kommt, die darauf warten. Rudy ist die ORF-Produzentin für die TV-Übertragung und sorgt dafür, dass die Philharmoniker vor 50 Millionen Menschen ins beste Bild gesetzt werden.

Das Neujahrskonzert ist ja nicht ein Konzert für die 1200 Zuhörer im Musikverein. Die sind nur Statisten für das Fernsehereignis, das in seiner Dimension an ein Champions-League-Spiel herankommt. Nur logisch, dass sich die Philharmoniker für die weltweite TV-Vermarktung genau die Schweizer Agentur ausgesucht haben (T.E.A.M.), die auch die europäische Fußballmeisterschaft verkauft.

Heuer hat man Verträge mit 73 Ländern ausgehandelt, das Neujahrskonzert ist somit „das weltweit größte TV-Ereignis im klassischen Bereich“, sagen die Schweizer. Das ist auch schon alles, was sie „säge. Übers Geld säge mir nix.“ Auch die Philharmoniker „sägen“ nichts und der ORF erst recht nicht.

Aber für die Mitglieder des privaten Vereins dürfte der etwas mehr als zweistündige Auftritt ein einträgliches Geschäft sein. Als es noch Schilling gab, bezahlte der ORF 22 Millionen davon an die Philharmoniker (etwa 1,5 Millionen Euro). Wie alles, dürfte sich auch diese Summe mit dem Euro beträchtlich erhöht haben. Jedenfalls wendet man mittlerweile allein für den Blumenschmuck um die 50.000 Euro auf.

Beim Neujahrskonzert mag irgendwann einmal tatsächlich die Kultur im Vordergrund gestanden sein, jetzt ist es vor allem ein Geschäft geworden, dessen Pulsschlag – wie in der „Presse“ einmal so schön formuliert wurde – „nur noch in Glücksmomenten der wienerische Dreivierteltakt vorgibt“.

Das beginnt bei den Verkäufen von CDs und DVDs, die es nach nur wenigen Tagen in den Geschäften gibt und die Verkaufszahlen haben, die in den Finanzhimmel des Popgeschäfts reichen, geht über den Begriff „Neujahrskonzert“, den sich die Philharmoniker beim Patentamt schützen ließen (AT 247836) – seither haben schon mehrere Veranstalter freundliche Anwaltsbriefe erhalten, selbige Bezeichnung nicht mehr für ihr Konzert zu verwenden – und reicht bis zum Kartenverkauf. Viel trägt zum Mythos bei, dass „Normalsterbliche“, wie uns Umweltminister Nikolaus Berlakovich bezeichnen würde, kaum die Möglichkeit haben, Statist bei der TV-Aufzeichnung zu sein.

Nur 600 bis 800 Karten für den Auftritt am 1.Jänner kommen in den freien Verkauf, der Rest geht an Sponsoren, Ehrengäste und Freunde der Musiker. Zwischen 30 Euro (Stehplatz) und 940 Euro bezahlt man für ein Ticket, vor einigen Tagen gingen auf eBay zwei um 3000 Euro weg. Ab 2. Jänner kann man sich via Internet für Karten für das Jahr 2012 bewerben: 60.000 Menschen taten es vergangenes Jahr. Vor einigen Jahren schrieb ein Koreaner 400 Briefe, um seine Chancen bei der Verlosung zu erhöhen.

Dabei ist es immer Strauß, den die Philharmoniker spielen, seit dem ersten Konzert unter Clemens Krauss „um präzise viertel zwölf Uhr mittags“ am 31. Dezember 1939. Damals war es tatsächlich ein Lebenszeichen österreichischer Kultur in einer Zeit, als es Österreich offiziell nicht gab. Erst ab 1941 war das Neujahrskonzert ein Konzert am Neujahrsmorgen, und seit 1959 überträgt es das Fernsehen. Zuerst in Europa, seit 1973 in Japan, die USA sind seit 1985 dabei und China seit 1987. Wer einmal überträgt, überträgt immer. Die BBC meinte einmal, das Konzert aus Wien nicht senden zu müssen – und ging in einer Protestflut unter. Im nächsten Jahr stieg man pünktlich wieder ein.

Und dafür sorgt alljährlich Heidelinde Rudy. „Früher war es jedes Mal eine Zitterpartie, ob wir um 12.15 Uhr, wenn der zweite Teil beginnt, pünktlich sind.“ Mittlerweile gestaltet man das Pausenprogramm so, dass es mit „Schönbildern“ endet, die man entweder laufen lassen kann, so lange man will, oder die man langsam aus- und den Musikverein wieder einblendet.


Der Rotlicht-Dirigent. Selbst der Dirigent muss sich der Regie des ORF beugen. Er darf erst dann zu dirigieren beginnen, wenn ein verstecktes Rotlicht leuchtet. Dann ist die Moderation fertig und die Kameras sind bereit. Heuer sind es 14 Stück, inklusive einer, die als „fliegende“ Kamera über das Orchester schwebt. Schließlich muss man jedes Jahr etwas Neues bieten.

Die Wiener Philharmoniker tun es nur „ad libitum“. Diesmal erweist man Franz Liszt anlässlich seines 200. Geburtstages 2011 mit einem Stück („Mephisto Walzer“) die Reverenz. Dennoch zaubern die seit 1987 jährlich wechselnden Maestri legendäre Konzerte aus den Strauß-Kompositionen, wie Herbert von Karajan 1987. Und das könne man nur mit den Wiener Philharmonikern, die den „Dialekt sprechen, den man für diese Musik braucht“, wie Welser-Möst meint, der erzählt, wie er einmal den kleinen Trommler der New York Philharmoniker fast in den Selbstmord trieb, weil der den Walzertakt nicht und nicht zusammenbrachte.

Müsste der den Radetzky-Marsch eintrommeln..., das unumstrittene Highlight des Konzerts, inklusive Klatschen des Publikums, das immer die Frage aufwirft, welcher Dirigent das zum ersten Mal zugelassen hat. Denn das ist wirklich wie das Schunkeln beim Oktoberfest.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2011)

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