Musikverein: Wi(e)der das herkömmliche Beethoven-Pathos?

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Symbolbild(c) EPA (Urs Flueeler)
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Die Beethoven-Symphonien mit Riccardo Chailly und dem Gewandhausorchester Leipzig, ergänzt durch zeitgenössische Kommentare: konsequente, nicht völlig überzeugende Lesarten zum Auftak im Wiener Musikverein.

Beethoven! Seit sechs Jahren amtiert Riccardo Chailly als Gewandhauskapellmeister, hat zuletzt etwa mit Schumann-Werken in Mahlers Bearbeitungen Aufsehen erregt. Nun stellt er seine mit dem Leipziger Meisterorchester erarbeitete Sicht der Symphonien aller Symphonien daheim und auf Tournee als Ganzes vor, dieser Tage im Musikverein – medial begleitet von einer CD-Veröffentlichung sowie im Konzert von Auftragswerken, die Beethoven reflektieren: Am Freitag ist da etwa Friedrich Cerhas Paraphrase über den Beginn der Neunten zu erleben.
Was lässt sich nach dem freundlich bejubelten Eröffnungsabend mit den Symphonien zwei und fünf feststellen? Chailly versucht in erster Linie, dem Notentext gerecht zu werden: mit großer Streicherbesetzung, aber nicht verdoppelten Bläsern und möglichst transparentem Klang, wozu die alte deutsche Sitzordnung wesentlich beiträgt. In den langsamen Sätzen schlägt er flüssige Tempi an, in den schnellen geradezu rasante. Und er lässt die bei Beethoven so wichtigen Unterschiede in der Dynamik auch da zutage treten, wo sie sonst gerne überspielt werden: Etwa, wenn gegen Ende des Stirnsatzes der Zweiten die letzte Wiederkehr des zur blechglänzenden Dreiklangsfanfare transformierten Hauptthemas partiturgemäß plötzlich „nur“ Forte erklingt und erst die Schlussakkorde wieder Fortissimo.

Revolutionsmarsch klingt leise und rasch

Aber steht alles in den Noten? Ausgespart bleibt bei ihm jedes Nachgeben im Tempo, jede rhetorische Geste. Leichtigkeit, Eleganz und sprudelnde Verve, im Stirnsatz der Fünften auch unerbittliche rhythmische Strenge sind Chailly wichtiger – womit er klar wider das herkömmliche Beethoven-Pathos Stellung bezieht. Die Zweite ließe sich gewiss schärfer, wuchtiger, auch schrulliger darstellen, als Werk eines ehrgeizigen Jungen, der Haydns Symphonik nicht übertreffen kann und sie deshalb voller Eigensinn ständig zu überbieten versucht. Aber Ecken und Kanten schmirgelte die ehrwürdige Spieltradition des hurtigen Gewandhausorchesters ab, das mit charakteristisch gefärbten Bläsern und sattem Streicherklang insgesamt eindrucksvoll, aber nicht überambitioniert zu Werke ging. Und wenn in der Fünften der Weg vom gespenstischen Scherzo in den siegreichen Revolutionsmarsch des Finales nicht bangend und geheimnisvoll klingt, sondern bloß leise und rasch, der (trotz schüchterner Posaunen) groß inszenierte Triumph also nicht erkämpft und errungen wirkt, sondern zufällig, dann bleibt das Ganze virtuose Oberfläche.
Dazwischen spielte der 1961 geborene Carlo Boccadoro in seinem „Ritratto di musico“ nachvollziehbar mit markanten Rhythmen der Fünften Beethoven, bot über gekräuselten Streicherflächen vor allem für Pauken und Bläser dankbare Soli, ließ die Musikgeschichte durchschimmern, ohne zitathaft zu werden, konnte dabei aber nicht auf Dauer fesseln.

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