Musikverein: Anna Netrebko, die 360-Grad-Diva

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Symbolbild(c) APA/FRANZ NEUMAYR (FRANZ NEUMAYR)
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Nein, ohne große Gesten geht es nicht bei ihr: Anna Netrebko und Daniel Barenboim verzauberten das Publikum im Wiener Musikverein mit russischen Romanzen. Was immer Netrebko singt, wird zu vokalem Theater.

Zugegeben: Von Weitem schien der Plan etwas zu offensichtlich vom Platten-Marketing bestimmt, den 2009 bei den Salzburger Festspielen mitgeschnittenen und zur Zeit der CD-Veröffentlichung 2010 in Berlin wiederholten Liederabend mit Romanzen von Rimsky-Korsakow und Tschaikowsky nun auch in Wien zu präsentieren. Doch Interpretationen brauchen Zeit zum Reifen. Also konnte man im Musikverein aufs Schönste miterleben, wie sich die gemeinsame Sicht von Daniel Barenboim und Anna Netrebko auf die Stimmungsbilder vertieft hat: zu einer bezaubernden Kette von Szenen, die bald zart die Natur malen, bald vor Liebesüberschwang vibrieren, bald pure Verzweiflung schildern.

Opernszenen, um genau zu sein. Denn was immer Netrebko singt, wird zu vokalem Theater, unterstützt durch ihr Mienenspiel und große Bühnengesten. Wenn sie etwa „Ins Reich der Rose und des Weins“ lockt, dann langt sie noch nach dem letzten Ton mit dem ganzen Arm in die Ferne und zieht den imaginären Geliebten an sich: Eine plakative Gebärde, gewiss, die aber an diesem Abend nicht weiter auffiel, da Netrebko ohnehin die ganze Breite des Podiums nützte, in alle Richtungen sang, dem Klavierpartner mehrfach von hinten die Hände auf die Schultern legte: eine 360-Grad-Diva eben.

Reifer, nachgedunkelter Sopran

Aber dass sie es zuwege bringt, solche histrionischen Übertreibungen bruchlos ins Ganze ihres Vortrags einzufügen, fasziniert fast mehr als ihr differenzierter Gesang. Sie schmeichelt und kokettiert, kann ihren vollreifen, besonders in der Mittellage nachgedunkelten Sopran üppig aufblühen lassen, trotzdem auch feine Pianophrasen formen; sie trifft den Klang der Verwunderung („So schnell vergessen“) ebenso wie das innere Glühen („Verrückte Nächte“) oder den sich steigernden Ton der Klage in „Ich war doch wie das Gras auf dem Feld“. Dass sie in diesem erschütternden Tschaikowsky-Lied das am Ende über zwei Oktaven ausgespannte Melisma frühzeitig für ein Atemholen unterbrach, bedauerten Connaisseurs allerdings ebenso wie ihren dort und da etwas laxen Umgang mit Verzierungen. Andere, winzige Unsauberkeiten störten nicht weiter.

Barenboim erwies sich als dienender Genießer und grandioser Klangregisseur zugleich, schlüsselte seinen Part ohne Sentimentalität, aber mit poetischer Versenkung und vollendeter Zartheit auf – etwa in der Einleitung zu „Gefangen von der Rose“ oder im Nachspiel von „Warum?“. Der Jubel hätte für ein Dutzend Zugaben gereicht, es blieb bei drei: das innig-verträumte „Als die alte Mutter“ aus Dvořáks „Zigeunermelodien“ sowie von Richard Strauss „Morgen“, ein charmanter früher Versuch, und „Cäcilie“, in deutlich besserem Deutsch als damals in Salzburg und mit der nötigen Emphase: ein Fest.

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