Wiens Konzerthaus: Mit 100 im Web

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Bernhard Kerres, seit fünf Jahren Chef von Wiens Jugendstil-Musentempel, träumt von Musik im Internet, holt zum 100. Jahrestages der Eröffnung des Hauses die Berliner Philharmoniker und 10.000 Kritiker.

„Am meisten tut mir leid, dass ich nicht alles hören kann“, sagt Bernhard Kerres und spielt damit auf jene Abende an, an denen sein Haus in mehreren Sälen Angebote für Musikfreunde hat – und weil das Herz des Wiener Managers ein weites ist, will er dabei sein, ganz gleich, ob es um große Symphonik, Weltmusik oder singende Laien geht, oder ob Klänge des 21. Jahrhunderts zu entdecken sind. Das Konzerthaus pflegt seit Langem ein nach allen Seiten offenes, innovatives Programm, das auch sogenannten „Nischenprodukten“ Raum gibt. Und nicht selten kommt man dabei drauf, dass mit solchen gar nicht so wenig Publikum anzulocken ist . . .

Und das Publikum, wenn es nach Keres geht, soll sich vermehren, es sollte auch Zugang zu Konzerthaus-Ereignissen haben, wenn es keine Karten ergattern konnte oder gar nicht in Wien ist. Musik im Internet, das ist etwas, das den Konzerthaus-Chef fasziniert. Da will er dabei sein und trifft seine Vorbereitungen. Wenn auch die rechtlichen Fragen – jenseits der Grundsatzdiskussion um Urheber- und Leistungsschutzrechte – noch lange nicht ausreichend geklärt sein dürften: „Das hat“, erläutert Kerres, „auch damit zu tun, dass wir davon ausgehen müssen: Kaum jemand wird sich mithilfe eines Live-Streams ein ganzes Konzert online anschauen. Das müssen die Rechtsvertreter erst einmal einsehen . . .“

„Und wir“, setzt er fort, „müssen uns im Klaren sein, dass ein Live-Stream niemals einen realen Konzertbesuch ersetzen kann und wird.“ Dafür können gut gemachte Werbeclips von Künstlern, richtig platziert, Zuschauer ins Haus ziehen. „Wir haben das studiert“, sagt Kerres, „beim Orgelabend von Cameron Carpenter, der auf diese Weise arbeitet – und es war plötzlich zwei- bis dreimal so viel Publikum als sonst da, darunter viele Menschen, die noch nie in einem Konzertsaal waren!“

Gagenverhandlungen via Facebook

Als Manager des 21. Jahrhunderts ist Kerres jedenfalls ein überzeugter Nutzer aller Social-Media-Angebote und verhandelt mit Künstlern gern übers Netz: „Die Musiker des Belcea-Quartetts oder die Pianistin Gabriela Montero sind gute Beispiele dafür“, erzählt er, „es gibt natürlich nach wie vor viele Künstler, die gar keinen Computeranschluss haben. Aber es gibt etliche, die man anders gar nicht mehr erreicht!“

Das gilt auch fürs Publikum. Karten verkauft die Wiener Konzerthausgesellschaft mittlerweile mehrheitlich übers Netz: „Ich schätze, es sind bis zu 70 Prozent aller Eintrittskarten, die übers Internet weggehen.“ Das seien Käufer, die auch gleich ihre Reaktionen via Posting loswerden wollen – „nicht nur freundliche“, sagt Kerres unumwunden, „damit muss man umgehen lernen“.

Sicher ist, dass CD- und DVD-Produktionen von Konzerthaus-Zyklen gemacht werden, allen voran mit Marc Minkowski und seinen Musiciens du Louvre, die zuletzt mit viel Erfolg die späten Haydn-Symphonien live aufgenommen haben und heuer die Symphonien von Franz Schubert „nachgelegt“ haben.

Da zeigt sich, dass hierzulande Nachholbedarf in der Bewusstseinsbildung herrscht. „Die Schubert-Aufzeichnungen hat ein französisches Team gemacht und sie wurden auch von Frankreich subventioniert“, weiß Bernhard Kerres zu berichten. Seine Erfahrungen decken sich mit denen anderer Wiener Veranstalter. Doch sind die medialen Vermarktungsaktivitäten „auch kulturpolitisch interessant“, meint der Konzerthaus-Chef. Sie machen Lust auf Musik, auf Konzertbesuche – und vielleicht auch aufs Selbermachen. Aus Anlass des 100. Jahrestages der Eröffnung des Hauses, der 2013 zu feiern ist, wird es daher nicht nur Prestige-Abende geben wie jenen, an dem die Berliner Philharmoniker erstmals im Haus gastieren werden, sondern auch so etwas wie zeitgemäße Varianten von Hausmusik: mehr Projekte für Laien. Und „,Carmina Burana‘, vertanzt“. Neue Kritiker übrigens auch: „Wir laden zehntausend Blogger ein, Konzerte zu rezensieren!“

Zur Person

Bernhard Kerres leitet seit 2007 die Wiener Konzerthaus-Gesellschaft. In Wien geboren, arbeitete der ausgebildete Sänger zunächst im Wirtschaftsmanagement. Vor seinem Amtsantritt im Haus in der Lothringerstraße war er zuletzt Vorstandsvorsitzender eines deutschen Verkehrstechnik-Konzerns.
Das Wiener Konzerthaus geht in sein 99. Bestandsjahr. Es wurde 1913 eröffnet.

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