Salzburger "Otello": Warum lässt Riccardo Muti das zu?

(c) AP (Andreas Schaad)
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Szenisch inexistente Neuproduktion von Verdis Shakespeare-Oper mit unzureichenden Sängern. Ein Reinfall, von herrlicher philharmonischer Musik begleitet.

Manchmal kommt Salzburger Festspielpremieren musikhistorische Bedeutung zu. So hob beispielsweise Riccardo Muti am vergangenen Freitag ein Werk Giuseppe Verdis aus der Taufe: Der Meister der italienischen Oper hat nämlich, so war an diesem Abend zu lernen, auch eine bisher völlig unbekannt gebliebene symphonische Dichtung nach einem Shakespeare-Stoff komponiert. Sie heißt „Otello" und wurde von den Wiener Philharmonikern im Großen Festspielhaus uraufgeführt, mit Verve, Attacke und schneidenden Piccoloflöten-Blitzen gleich am Beginn, mit herrlichen Cello-Kantilenen dort, wo Verdi später das Liebesduett hinzukomponierte, mit unzähligen kleinen und kleinsten Klang-Vignetten, die vokale und gestische Ausdrucksmittel einer Bühnenaufführung ideal unterstützen, animieren und ausdeuten könnten, hätte man sich in Salzburg dazu entschlossen, das dieserart bis in verborgene Seelenwinkel psychologisch ausgeleuchtete Schicksal des "Mohren von Venedig" auch szenisch darzustellen und die von Verdi offenbar später hinzukomponierten Vokalstimmen hörbar mitsingen zu lassen.

Erstaunlicher Weise geschah nichts von alledem, man blieb einen Abend lang symphonisch, außer dann, wenn der Staatsopernchor mitzusingen Lust hatte: Der stand dann wie für eine Aufführung des „Messias" bereit und bot den oft mächtig anschwellenden philharmonischen Klangmassen, den von allen Seiten mit apokalyptischem Effekt schmetternden Trompeten wacker Paroli.

Szenisches Oratorium

In solchen Momenten weitete sich die Aufführung zum Oratorium, eigenwillig bebildert durch zaghafte Versuche konzertierter Bewegungsabläufe wie rhythmisches Synchron-Wippen oder gleichzeitiges Heben von Weinflaschen während jener Passage, in der Jago in der späteren Opernfassung sein Trinklied anstimmt.

So kam bescheidene Bewegung ins Spiel. Hie und da befiel den Betrachter gar die Ahnung, da könnte jemand den Versuch gemacht haben, den einen oder anderen Moment, an dem Verdis Tondichtung besonders pittoresk wirkt, doch ein wenig in szenische Veduten umzusetzen. Ein Blick ins Programmheft lehrt, dass es sich dabei um Stephen Langridge gehandelt haben könnte. Er ist als Regisseur genannt. Die akustisch für jeglichen Vokalversuch mörderische, weil nach oben offene Hinterhof-Dekoration mit Schräge in der Mitte möchte man bei mancher Scheinwerferposition sogar für ein Bühnenbild halten, in dem sich einige Damen und Herren auch individuell bis zur Rampe bewegen, um Riccardo Muti bei seiner von vorne gewiss noch faszinierender anzuschauenden Arbeit zu beobachten.

Ahnungen von Solisten-Tönen

An ausgewählten Momenten des Abends wehte ein akustischer Glücksmoment sogar Ahnungen vokaler Ausgestaltung der intensiven musikalischen Darbietung ans Ohr der Festspielgemeinde.

Sollte es sich da um eine dezente Probe für künftige Aufführungen der Oper „Otello" gehandelt haben?
Wenn ja, dann wäre zu raten, für eine Vollversion des packenden Dramas doch kühnere Verdi-Recken zu engagieren als den lyrisch begabten Alexander Antonenko in der Titelrolle, dessen Tenor, in der Höhe mühelos und leicht, in der Tiefe bläßlich, für einen Cassio vielleicht sogar im großen Haus denkbar wäre, wenn er sich denn für einen Regisseur als reizbar zu szenischer Präsenz und leidenschaftlichem Spiel entpuppen sollte.

Ob Carlos Alvarez hingegen je ein Jago werden könnte, blieb Freitag abend völlig unklar: Seine Stimme scheint in der Tiefe zu jeglicher nötigen Schwärze zu ermangeln, die es zu glaubhaftem Höllen-Credo brauchte. Dass er ein exzellenter Bariton ist, beweit er im „Otello" - zumindest unter den gegebenen Umständen - lediglich in den agilen Parlando-Passagen.

Stummfilm-Melodramatik und eine Sphinx

Mariana Poplavskaja ist in Salzburg als Desdemona angesetzt, eine zauberhafte Erscheinung mit herbfrischem Sopran begabt, doch technisch unfertig: Was an Spitzentönen durchs Orchester zu dringen vermag - das ist beinah mehr als bei den Herren! - klingt oft höchst gefährdet. Als Spiel-Beitrag geht Poplavskaja angesichts des auch im Furor lethargisch wirkenden Antonenko während des großen „Concertato" des dritten Akts auf die Knie, als wollte sie eine melodramatische Stummfilmszene von Anno dazumal imitieren.

Dass Riccardo Muti diese Ensemble-Szene - wenn ich mich recht erinnere, wie einst Claudio Abbado - in der Pariser Fassung spielen läßt, die weit weniger konsistent ist als die bekannte Version, gehört zu den unlösbaren Rätseln dieser sphingenhaften Produktion. Was wollte man uns damit beweisen? Wie die hohen Eintrittspreise rechtfertigen? Wer, um Gottes Willen, macht in Salzburg Besetzungen? Und warum läßt ein Riccardo Muti sich dieselben gefallen? Bei allem Respekt fällt die Verantwortung für solch einen musiktheatralischen Total-Reinfall doch auch auf den Dirigenten einer Produktion zurück. Mögen die Philharmoniker noch so virtuos unter seiner Leitung aufspielen!

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