Theater an der Wien: Der Schockerlebnis von anno dazumal

(c) APA (Georg Hochmuth)
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Das RSO und Bertrand de Billy ernteten Jubel für die Rekonstruktion der Beethoven-Akademie 1808.

Präzis 200 Jahre nach dem Ereignis rekonstruierte das RSO Wien mit seinem Chefdirigenten Bertrand de Billy jene Akademie, die einst Ludwig van Beethoven im Theater an der Wien gab, um zwei seiner Symphonien, ein neues Klavierkonzert und einige weitere Werke dem Wiener Publikum erstmals zu präsentieren. Der 22.Dezember war in jener Zeit, da das Theater nicht geheizt wurde, gewiss kein idealer Termin für ein solch anspruchsvolles Unternehmen. Die vierstündige Akademie war denn auch kein rauschender Erfolg.

Doch denkt der Musikfreund heute mit erhabenem Schauer, was das für ein Gefühl gewesen sein müsste, Musik wie die „Pastorale“, die „Schicksalssymphonie“ oder das G-Dur-Konzert op. 58 das erste Mal hören zu dürfen! Schockartig muss die Neuheit all dieser Kompositionen empfunden worden sein, denn nichts ist in den Symphonien wie im Klavierkonzert, wie vordem je etwas in Symphonien und Klavierkonzerten gewesen war.

Beethoven machte alles anders

Zwar, von Beethoven wusste man spätestens seit der „Eroica“, dass er alles anders machte als seine Vorgänger und Zeitgenossen. Und doch: Die geballte Begegnung mit der überquellenden Erfindungskraft und Originalität dieses Komponisten wirkt heute noch, zwei Jahrhunderte später, wie ein Jungbrunnen auf die Hörer. Dem Marathonprogramm zum Trotz ernteten die Musiker im Theater an der Wien Jubelstürme, sodass die wackeren Solisten, der exzellente Arnold-Schönberg-Chor und das Orchester den Schluss der von Beethoven eigens für seine Akademie geschriebenen „Chorphantasie“ wiederholen mussten. Die musikalische Energie, von de Billy gekonnt gebündelt, sprang aufs Auditorium über, überwältigte.

Zwischendrin ein Glasperlenspiel

Mochte auch Boris Berezovsky die Phantasie recht oberflächlich vom Blatt herunterspielen, mochte er das Vierte Klavierkonzert zuvor als Vehikel für eine virtuos abrollende, doch einem vordergründigen Glasperlenspiel gleichende pianistische Fingerübung nutzen. Ist das Finale dieses Konzerts für ein rastlos schnurrendes Perpetuum mobile nicht doch zu lang? Steckt nicht Differenzierteres, Dialogisches in dieser Musik?

Der Rest des langen Abends blieb von solchen eindimensionalen interpretatorischen Willkürakten gottlob verschont. Lediglich die nach dem Klavierkonzert erklingende Fünfte Symphonie ermangelte nach den mehr und mehr dem Spiel des Solisten angeglichenen Spitzfindigkeiten vielleicht ein wenig der Dringlichkeit. Doch die stellte sich spätestens im Andante wieder ein, um im Scherzo und Finale bravourös gemeisterter dramatischer Attacke zu weichen: Da war wieder jeder Ton „Ausdruck der Empfindung“, wie der Komponist ihn für seine Sechste expressis verbis gefordert hat, eine Anweisung, der das RSO auch pünktlich Folge leistete, in sanfter Ekstase in der „Pastoralen“, con brio im Furor des Gewitters und der gesamten Nummer fünf.

Annette Dasch hatte vor der ersten Pause „Ah, perfido“ gesungen, mit schöner, nicht immer ganz ungefährdeter Stimme und vielleicht ein bisschen weniger engagiert, als man von einem Bühnentemperament wie ihr erwartet hatte. Der Schönberg-Chor hingegen veredelte das Gloria sowie Sanctus und Benedictus aus der C-Dur-Messe, vor allem aber die Phantasie op. 80 mit fein geschwungenen Kantilenen und großer Verve, je nachdem. Die Dankbarkeit des Publikums tönte so überschwänglich wie die Chorhymne und Berezovskys allerdings stupende Akkordraketen.

Übertragung der Beethoven-Akademie in Ö1: 1. Jänner 2009, 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2008)

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