"Meistersinger": Ein Turnsaal als Festwiese

Grazer Opernhaus
Grazer Opernhaus(c) Michaela Bruckberger
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Opernhaus Graz: Zum Einstand der neuen Direktion gibt man Richard Wagners "Meistersinger", szenisch verfälscht, gesanglich jedoch auf bemerkenswertem Niveau.

Das hat es wohl noch nie gegeben. Ein junger Bassbariton debütiert in ein und derselben Vorstellung als Hans Sachs, aber auch als Nachtwächter in Wagners „Meistersingern“! Die neue Intendantin der Grazer Oper, Elisabeth Sobotka, wollte mit ihrer Einstandspremiere wohl in jeder Hinsicht Zeichen setzen. Aus Ioan Holenders Schule über die Berliner Staatsoper unter den Linden in die steirische Landeshauptstadt gekommen, kann Sobotka Kompetenz in Sachen Besetzungspolitik demonstrieren. So fand sie für eine der kürzesten Opernrollen sowie für die vielleicht anspruchsvollste aller Solopartien der Operngeschichte denselben Protagonisten!

„Den Zeugen, denk' ich, wählte sie gut.“ James Rutherford, der von Gnaden der Regie auch ins Nachtwächterhorn stoßen darf, ist den Anforderungen, die der Komponist an seinen weisen Volksdichterhelden stellt, gewachsen. Er hält mit runder, wohlig profund timbrierter Stimme bis zur letzten, direkt ins Publikum gesungenen Ansprache durch. Das ist bei einem Sachs-Debüt schon viel, beinah alles. Da noch Feinschliff, kluge deklamatorische Detailarbeit erkennen zu wollen, hieße den Bogen überspannen. Rutherford hat sich mit diesem souveränen Debüt sofort in die Notizbücher der internationalen Opernintendantenschaft gesungen – einige von deren Vertretern, Dominique Meyer zuvörderst, waren im Saal. Schließlich galt es, der frisch gebackenen Kollegin zu ihrem Mut zu gratulieren, zum Einstand eine der größten Herausforderungen anzunehmen, die das Opernrepertoire bereithält. Und zu ihrer guten Hand bei der Auswahl der Sänger.

Frisches, junges Ensemble

Die beschränkte sich nicht auf die Zentralfigur der Handlung, sondern auch auf die übrigen Partien. Aus Berlin hat Sobotka für kurze Frist Burkhard Fritz mitbringen dürfen, der nicht nur für Grazer Verhältnisse ein luxuriös sicherer Stolzing ist.

Das junge, frische Ensemble wird angeführt von Gal James, die über einen runden, leuchtend schönen Sopran verfügt, den sie mit dem Evchen zwar vielleicht ein wenig über die Grenzen strapaziert, doch bei vernünftiger Führung wohl bemerkenswert entwickeln wird können. Ihr zur Seite Dshamilja Kaiser, die aus der undankbaren Jungfer Lene eine Studie zu formen weiß, darstellerisch wie stimmlich, und Marlin Millers quicklebendiger David von gutem charaktertenoralem Format.

Unter den Meistern finden sich ein kräftiger (wenn auch nicht immer ganz intonationssicherer) Pogner (Wilfried Zelinka) und ein exzellenter Bäckermeister Kothner (Alik Abdukayumo). An Textdeutlichkeit und vokaler Gestaltung hätte einiges an liebevoller Mehrarbeit nicht geschadet. Hier mangelt es der durchwegs fein geschliffenen und mehrheitlich ganz vernünftigen Personenführung Alexander Schulins zum Trotz an musikalischer Detailarbeit.

Ein Weltklasse-Beckmesser

Wie man gesanglich und als Akteur gleichermaßen perfekt agieren kann, demonstrierte der sensationell differenzierte, Komödiantik und Psychologie kunstvoll verschmelzende Beckmesser von Jochen Schmeckenbecher, der freilich als einer der wenigen an diesem Abend schon in anderen Produktionen Stadtschreibererfahrungen sammeln durfte. Der Rest war Grazer „Eigenbau“, vom sicheren Kapellmeister Johannes Fritzsch geführt, wenn auch nicht wirklich inspiriert. Unter seiner Leitung musiziert das philharmonische Orchester Graz transparent und niemals zu laut. Doch mangelt es der Aufführung an Lebendigkeit, an energetischem Gestaltungswillen.

Der könnte nur vom Pult ausgehen, denn die Regie hat zwar das Ihrige getan, um die Handlung möglichst kleinteilig zu erzählen, doch tut sie's in einem Einheitsbühnenbild, das eine Mehrzweckhalle der 1940er-Jahre darstellt, halb Turnsaal, halb Probebühne. Nicht einmal eine Laute darf Beckmesser zur Begleitung seines Ständchens in Händen halten, statt, wie von Wagner so kindisch-liebevoll komponiert, die Saite zu stimmen, blättert er in seinem Notizbuch, um die entsprechende Zeit irgendwie (aber falsch) pittoresk zu nutzen...

Grazer Premieren

Strauß: Die Fledermaus. 22. November
Dvo?ák: Rusalka. 18. Dezember
Kálmán: Die Csardasfürstin. 23. Jänner
Mozart: Die Hochzeit des Figaro. 20. März
Berg: Lulu. 29. April
Bellini: La sonnambula. 29. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2009)

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