Grigory Sokolov: Seelenprotokolle

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Grigory Sokolov spielt Schubert und Beethoven.

Er gehört zu den Idolen der modernen Klassikinterpretation: Grigory Sokolov studiert – wie einst Alfred Brendel – jeweils ein Programm ein und absolviert dieses dann in den großen Konzertsälen der Welt; auch für Festspiele macht er keine Ausnahme. So stammt denn ein Mitschnitt des Tourneeprogramms von 2013 zum Teil aus Salzburg, zum Teil aus Warschau. Gleich viel, man hört Schuberts Impromptus op.  90 und die Klavierstücke D 946, aber auch Beethovens „Hammerklaviersonate“ mit höchster Spannung, denn wie immer fesselt Sokolovs Spiel vom ersten Takt an, diesfalls vom einsam hingesetzten G an, mit dem Schubert seine Seelenprotokolle beginnt. Sokolov nimmt sich Zeit, die erzählerischen Details dieser Musik mit vielen kleinen Verzögerungen und innehaltenden Momenten auszukosten, setzt erstaunliche Akzente, indem er etwa das Es-Dur-Impromptu betont non-legato spielt, wovon sich das breit strömende nachfolgende Ges-Dur-Stück wunderbar abhebt. Die bohrende Intensität mancher Augenblicke im ersten der drei nachgelassenen Klavierstücke setzt er wiederum in Gegensatz zu manchen völlig frei wirkenden Passagen: In einem Augenblick meint man beinah, einem einsamen Zymbalspieler in der Puszta zu lauschen, der ganz in sich versunken auf seinem Instrument tremoliert. Freizügiger, also vielleicht „richtiger“ kann man mit den Schubert’schen Klangbotschaften gar nicht umgehen.

Auf der neuen CD hört man auch Stücke von Brahms und Rameau.
Auf der neuen CD hört man auch Stücke von Brahms und Rameau.(c) Beigestellt

Verrückte Fuge. Dem steht Beethovens „Hammerklaviersonate“ gegenüber, das kühnste Experiment mit der Sonatenform (jedenfalls aus klassischer Zeit, vielleicht aber sogar Liszt inklusive), das Sokolov bei ähnlichem Klangreichtum doch gefasst, fokussiert realisiert. Die berüchtigten Eingangstakte im vorgegebenen rasenden Tempo zu realisieren, versucht er erst gar nicht. Dafür stehen dank artikulatorischer Finesse die Themen in scharfer Klangkonfrontation gegeneinander; aus den resultierenden Spannungen erwächst das Drama, in dessen Zentrum der bis heute unfassbare fis-Moll-Satz steht, das Adagio, in dem die Zeit stillzustehen scheint. Obwohl oder vielleicht gerade weil Sokolov hier so schlicht, so holzschnittartig wie möglich spielt. Die Finalfuge klingt so verrückt, so ver-rückt, wie sie für Zeitgenossen Beethovens gewirkt haben muss. G’scheiter ist die Menschheit ja inzwischen nicht geworden. Als wollte er das unterstreichen, kontert Sokolov vor einem melancholischen Brahms-Intermezzo (op. 117/2) mit fünf Klavierpiecen von Rameau: Wirklich Apartes gelang nicht erst Ludwig van Beethoven . . . (DG)

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