"Sie werden mich in der Luft zerreißen"

werden mich Luft zerreissen
werden mich Luft zerreissen(c) Wikimedia Commons
  • Drucken

Vor 150 Jahren sorgte Manets »Frühstück im Grünen« für einen Skandal. Was die Leute daran so aufregte - und wie auch weiterhin mit nackten Körpern die Kunst vorangetrieben wird.

Der Raum ist abgedunkelt. Auf einer Ledercouch sitzen zwei ältere Männer. Aus dem Hintergrund erscheint eine Frau, bleibt vor den beiden stehen und wirft den Bademantel ab. Nackt. Splitterfasernackt steht sie vor ihnen, lächelt. Und die beiden beginnen über ihren Körper zu sprechen, über die Brüste, die Orangenhaut am Hintern, die sie übrigens ganz toll finden, die Hüften, das Nabelpiercing etc. Was turnt wen an, wo bleibt der Blick haften, was ist sexy für wen und was nicht.

Stellen Sie sich vor, der ORF würde eine solche „Talkshow“ ausstrahlen. Der dänische öffentlich-rechtliche Sender hat es getan. Je zwei nackte Damen präsentieren sich zur Beurteilung zwei bekleideten Herren. „Blachman“, benannt nach dem Moderator, dem Musiker Thomas Blachman, ist ein voller Erfolg. Nicht nur, weil das Konzept für Medienberichte in ganz Europa sorgte. Sondern auch, weil hier etwas geschafft wird, was tabu erscheint: Über normale Frauenkörper nicht nur zu reden, sondern sie auch zu zeigen, das Diktat der perfekten Bodys aus der Fotoshop-Retorte zu brechen, die unseren Alltag bestimmen und das Selbstwertgefühl der Frauen unterminieren. Wahrscheinlich würde Blachman sich selbst sogar als Feminist bezeichnen.

Wäre das Geschlechterverhältnis nicht so starr, würden sich Männer und Frauen in den Rollen von Beurteilter und Beurteilenden abwechseln, wäre das vielleicht auch eine Denkmöglichkeit. So aber wiederholt das Setting doch nur redundant gelernte Machtverhältnisse vom bekleideten Maler und seinem nackten Modell etc.

Im Salon der Abgelehnten. Die Konstellation nackte Frau vor zwei bekleideten Männern ist in der Kunstgeschichte allerdings von einem Meisterwerk der Moderne nahezu okkupiert: Vor genau 150 Jahren malte Édouard Manet sein „Frühstück im Grünen“ (siehe Abb.) und stellte es noch im selben Jahr seiner Fertigstellung, 1863, im ersten Pariser „Salon des Refusés“ aus, wo die Bilder gezeigt wurden, die von der offiziellen Jury der „Salon“ genannten Großausstellung abgelehnt worden waren.

Die Idee zu dem ziemlich absehbar einen Skandal provozierenden Gemälde kam dem jungen Maler, gerade einmal Anfang 30, bei einem spätsommerlichen Badeausflug mit einem Freund im Jahr davor, im nur zehn Minuten mit der Eisenbahn aus Paris entfernten Asnières an der Seine. Dort beobachteten die beiden die Menschen beim Baden, was damals noch streng nach Geschlechtern getrennt und alles andere als nackt geschah. In der Kunst dafür durfte Haut gezeigt werden, verbrämt als Venus oder Harems-Akt zum Beispiel. Manet aber schwebte etwas anderes vor, ein „modernes“ Badebild, ohne mythologische Rechtfertigungen. „Die Leute werden mich in der Luft zerreißen, aber die sollen sagen, was sie wollen“, meinte er zu seinem Freund. Und machte sich in Paris an die Arbeit.

Als Inspiration dienten ihm wohl einige historische Bilder aus dem Louvre – Tizians „Le Concert champêtre“, wo zwei nackte Damen unter freiem Himmel zwei Musikern lauschen, und Raffaels „Urteil des Paris“ nach einem Stich von Marcantonio Raimondi, in dem am Rand der Szene zwei Flussgötter mit einer Nymphe sitzen. Manet übernahm praktisch deckungsgleich die Haltungen dieser Figuren. Durch dieses Zitat, durch diese eindeutige Verbindung mit einem der damals an der Akademie meistgefeierten Künstler, nämlich Raffael, wurde noch klarer, was Manet vorhatte: den Unterschied zu betonen, die Renaissance ins Heute zu übersetzen. Dort die Götter. Hier die echten Menschen. Die jungen, zeitgenössischen Pariser im modischen Gehrock, bunten Halstüchern, Bohemien-Kappe, Spazierstock und Uhrkette. Als Modell dienten ihm dafür sein Schwager, sein eigener Bruder und ein neues Aktmodell, das Manets Werk in Zukunft prägen wird: die damals 19-jährige Victorine Meurent.

„Flotter Vierer“ („Le partie carée“) soll Manets erster Titel für das Bild gewesen sein. Doch nicht nur das Sujet, auch die Malweise zeigte, dass hier einer nach Neuem suchte: Durch Vermeidung von Zwischentönen, die Übergänge kaschieren, werden die Umrisse hart. Durch den gleichmäßigen Auftrag heller und dunkler Farben stehen sie gleichberechtigt nebeneinander, machen das Bild ungewöhnlich zweidimensional. Victorine wirkt gar wie von einem Scheinwerfer angestrahlt.

„Aufschrei der Verdammung“. Alles in allem rief das Bild bei seiner Präsentation schließlich „einen Aufschrei der Verdammung“ hervor, berichteten Manets Freunde. „Noch nie zuvor war solch unbändiges Gelächter so gerechtfertigt“, schrieb man. Weniger Victorines Nacktheit als ihre Durchschnittlichkeit, ja für manche Betrachter sogar das „Ideal der Hässlichkeit“, sorgte für Unverständnis. Wie auch die Absurdität der Szene selbst, in der sozusagen eine Nymphe zwischen zwei flott gewandeten Pariser Studenten saß. Es war damals noch nicht üblich, Personen in zeitgenössischer Kleidung zu malen. Es war auch nicht üblich, derart zu „klecksen“, wie Manet es mit seinem derben, gleichberechtigten Farbauftrag tat. Das allgemeine Ziel war damals noch ein vollendeter Stil. Die Zukunft der Malerei aber war beim ungeliebten Manet zu finden. Davon spricht auch die „Besessenheit“ seines wohl größten postumen Fans, Pablo Picasso, der das „Frühstück im Grünen“ rund 200 Mal als Vorbild für Zeichnungen und Gemälde nahm.

Heute weiß man, das noch fast 40 Jahre nach seiner ersten Präsentation als „Schande Frankreichs“ apostrophierte Gemälde ist einer der Grundsteine der Moderne. Wie es auch ein anderes, nicht minder skandalöses Bild Manets ist, die im selben Jahr entstandene „Olympia“, ebenfalls mit der armen Victorine Meurent als Modell. Denn wieder wurde die „Hässlichkeit“ des völlig nackt, in der Tradition der Odaliske auf einem Tagesbett liegenden Mädchens beschimpft. Diese alltägliche Schönheit, der damals für Prostituierte geläufige Name Olympia und eine schwarze Katze (mit aufgerecktem Schwanz), die im französischen Slang die Vagina bezeichnet, deuteten darauf hin – Manet hat hier keine x-beliebige Odaliske oder Venus gemalt. Sondern eben das, was die gut situierte Pariser Männerwelt zu dieser Zeit beherrschte, folgt man etwa Emile Zolas Roman „Nana“. Zola war nicht umsonst ein enger Freund Manets.

Es war die feministische Kunstgeschichte, die zusammenfasste, was hier passiert war, die Jahrhunderte über – mit dem nackten Frauenkörper wurde die Kunstgeschichte immer wieder vorangetrieben. Mit ihm wurden Tabus gebrochen und Grenzen verschoben. Picassos „Demoiselles d'Avignon“ zum Beispiel, ein Meilenstein der Moderne. Oder die wie Leinwände verwendeten Modelle des Wiener Aktionismus und vor allem die kämpferische feministische Körperkunst danach, die bis zu den Femen-Aktivistinnen zu betrachten ist, die aus politischem Protest ihre Brüste zeigen. Der nackte Mann, das zeigten auch die zwei Überblicksausstellungen in Leopold-Museum und Lentos voriges Jahr, war in seiner Bedeutung viel eingeschränkter, diente eindeutig schlechter als Projektionsfläche für letzten Endes gesellschaftliche, politische Anliegen.

Wer sich etwa Francisco de Goyas Doppelbild der nackten und angezogenen „Maja“ heute anschaut, sollte daran denken, dass es nicht umsonst der einzige Akt war, den Goya je gemalt hat, zwischen 1797 und 1800. Im katholischen Spanien waren Frauenakte nämlich strikt verboten, sie wurden verhüllt oder sogar verbrannt. Man glaubt es kaum, aber zwischen 1650 und 1800 ist kein Frauenakt bekannt, der in Spanien entstanden war. Und Goya war seinen Titel als Hofmaler los, als das Bild Jahre später von der Inquisition beschlagnahmt wurde.

Stimmt es allerdings, dass Goyas Modell tatsächlich die Herzogin von Alba war, kommt eine politische Bedeutung hinzu. Die unabhängige, schöne Frau war nämlich eine der prominentesten Vertreterinnen einer patriotischen Subkultur rund um eine demokratische Erneuerung Spaniens zu Zeiten der Französischen Revolution. Ein äußeres Zeichen dafür war, sich als folkloristische „Maja“, als „spanische Schöne“ zu kleiden.

Vielleicht aber war das ganze auch nur ein Herrenwitz, wurde zu später Stunde im „Venuskabinett“ des jungen Politikgünstlings Manuel de Godoy, für den Goya die beiden Gemälde malte, das angezogene Maja-Bild weggeschoben, um das nackte zu enthüllen. Man weiß es nicht. War der Doppelpack ursprünglich ein „Tableau secret“, also ein durch ein anderes Bild verhülltes?

So wie Gustave Courbets „Entstehung der Welt“ (1866) eines war? Diese wohl berühmteste Vagina-Darstellung wurde, aus heutiger Sicht ungewöhnlich, gerade für einen türkischen Diplomaten in Paris geschaffen, Halil Serif Pasa, auch Khalil Bey genannt. Er galt als erster Muslim mit einer „westlichen“ Kunstsammlung. Doch selbst bei dem Frauenliebhaber hing Courbets delikater Einblick zwischen zwei weibliche Schenkel hinter einem Vorhang verborgen, der nur für besondere Gäste gelüftet wurde. Einer dieser berichtete süffisant: „Der Künstler, der sein Modell naturalistisch kopierte, hat vergessen, die Füße, die Beine [...] und den Kopf wiederzugeben.“

Hat Courbet es selbst zerschnitten?Wenn es also tatsächlich stimmt, was heuer durch einen Fund bestätigt worden zu sein scheint, dass das Gemälde nämlich nur zerschnitten wurde und Courbet sehr wohl anfangs einen „normalen“ Frauenakt gemalt hat, dann muss der Maler selbst diesen zerschnitten haben. Mittlerweile aber ist es ruhig geworden um die von einem französischen Courbet-Experten entdeckte „obere Hälfte“ des Weltenursprungs. Und weder das eine noch das andere Bild weist Schnittspuren auf an den Rändern...

Klaus Herding, ein deutscher Kunsthistoriker und Courbet-Spezialist, zweifelt die Theorie stark an. Courbet wurde schon zu Lebzeiten viel gefälscht. Und der Zeitpunkt der Entdeckung des Fragments dieses Frühjahr, ein Jahr bevor im Musee d'Orsay eine große Ausstellung rund um Courbets „Ursprung“ stattfindet, wirke ebenfalls verdächtig, wandte er in der „FAZ“ ein. Auf die Diskussionen um diese Ausstellung darf man also gespannt sein. Denkt man u.a. auch daran, dass erst 2008, bei der großen Courbet-Ausstellung im Metropolitan Museum in New York, der „Ursprung der Welt“ noch in einem eigenen, mit schwarzem Samtvorhang abgetrennten Raum isoliert gezeigt worden war. Betreten erlaubt nur für Personen über 18 Jahre.

ÉDOUARD MANET

Bürgerliche Herkunft
Édouard Manet wurde 1832 in Paris geboren, in ein bürgerliches Elternhaus. Als Jugendlicher bekam er Zeichenunterricht und kopierte Bilder im Louvre. Erst sollte er Marineoffizier werden, wurde dann aber doch im Atelier von Thomas Couture als Maler ausgebildet.

„Er war bedeutender, als wir gedacht haben“
Ab 1860 begann Manet traditionelle Themen in seinem eigenen Stil mit harten Kontrasten und flächigem Farbauftrag umzusetzen. 1861 war er erstmals im Pariser Salon vertreten, stieß zuerst aber auf große Ablehnung, z. B. mit „Frühstück im Grünen“ und „Olympia“. Ab den 1870er-Jahren stieg die Anerkennung, auch durch die Impressionisten, die ihn gern hätten. 1882 starb er, Edgar Degas soll hinter seinem Sarg gesagt haben: „Er war bedeutender, als wir gedacht haben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.