Ein Schloss schließt die Berliner Wunde

Schloss schliesst Berliner Wunde
Schloss schliesst Berliner Wunde(C) Stiftung Berliner Schloss
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Der Grundstein ist gelegt, nach vielen Stolpersteinen. Bis 2019 soll das Berliner Stadtschloss wieder auferstanden sein. Hinter der historischen Kulisse, die viele Architekten für kleinlich halten, steckt eine große Vision.

Der Mensch muss das Gute und Große wollen, das Übrige hängt vom Schicksal ab“: Also sprach Alexander von Humboldt, der mit deutscher Gründlichkeit die Welt vermessen und erforscht hat. Das Humboldt-Forum soll bald die letzte große städtebauliche Wunde Berlins schließen: die Brachfläche auf der Spreeinsel. Als optischer Abschluss der Prachtmeile Unter den Linden stand dort einst das Stadtschloss der Kurfürsten, preußischen Könige und des deutschen Kaisers. Und später, nach der mutwilligen Sprengung, Honeckers „Palast der Republik“, der Renommiertempel der DDR-Diktatur. Außer der noch hässlicheren „Humboldt-Box“, einem aus der Fasson geratenen Infostand, gibt es dort nichts mehr – ein leeres Loch im Herzen der Stadt.

Seit einem Jahr wird ausgehoben und fundamentiert. Am Mittwoch legte Bundespräsident Joachim Gauck den offiziellen Grundstein. Jetzt wissen alle: Es wird ernst. 620 Mio. Euro darf die größte Kulturbaustelle Deutschlands kosten, bis 2019 soll alles fertig sein. Vom Schicksal hängt ab, ob der märkische Sand die Baumassen trägt, obwohl man unter dem Gelände gerade einen U-Bahn-Tunnel bohrt.

Potemkin lässt grüßen

Vorbei ist nun ein fast 20 Jahre tobender Streit. Dabei ging es, als wäre es die größte Sorge der Republik, ums Prinzip: Alt oder Neu, Geschichte oder Zukunft? Zwei Drittel der Abgeordneten im Bundestag sprachen 2002 ein Machtwort: Museum, Bibliothek und Ort der „Begegnung der Kulturen“ sollen nicht nur an der Stelle des Hohenzollernschlosses stehen, sondern auch von den Fassaden Schlüters, einem Hauptwerk des protestantischen Barock, umhüllt werden. Ein monarchistisches Symbol, demütig wieder aufgebaut im 21. Jahrhundert? Eine Potemkinsche Sandsteinfassade mit Kapitellen und Skulpturen, hinter der sich betonierte Hallen mit Rolltreppen wie im Einkaufszentrum verbergen? Ist das „gut und groß“? Oder eine kleinliche Attrappe, die den Touristen wie im Disneyland Altes vorgaukelt?

Die meisten Architekten sehen das bis heute so. Zu ihnen gesellen sich Denkmalschützer, die sich dem Dogma ihres Ahnherrn Dehio verpflichtet fühlen: Bestehendes konservieren, aber nicht Zerstörtes rekonstruieren! Das kommt dem kleinen Bürger zupass, der nicht einsieht, wieso seine Steuergelder in teure Kulturprojekte fließen. Aber nicht einmal die konservative Elite darf jubeln. Sie hätte sich auch innen Preußens Gloria gewünscht, zudem gern die Gemäldegalerie der Alten Meister hierher geholt.

„Primitives“ aus aller Welt

Stattdessen zieht das Ethnologische Museum aus Dahlem ein und komplettiert so die Museumsinsel nebenan. Statt der Kapelle eine buddhistische Höhle von der Seidenstraße? Hütten und Boote der „primitiven“ Ozeanier statt Damast und Dürer? Die potenziellen Spender, die Fassaden und Kuppel finanzieren sollen, sind pikiert. So blieb die wahlkämpfende Kanzlerin Merkel der Grundsteinlegung lieber fern. Auch Gauck sparte sich eine Rede. Was die Franzosen zu einem Jubelakt des Nationalstolzes aufdonnern würden, verhallte in Deutschland leise.

Zumindest ein Argument der Gegner ist entkräftet: dass ein Nachbau steril bleiben muss, weil sich die kleinen Unregelmäßigkeiten, die eine historische Fassade so reizvoll und lebendig machen, nicht nachbilden lassen. Der Computer kann heute Messbildaufnahmen und Fotos so auswerten, dass die Aufrisse die Fassade mit allen „Fehlern“ bis auf einen halben Zentimeter rekonstruieren. Das Dogma Dehios ist andernorts längst einer Praxis der Rekonstruktion gewichen. Die neue alte Frauenkirche in Dresden erstand ebenso aus dem Nichts wie die Schlösser von Braunschweig, Hannover und Potsdam. Besonders Jugendliche sehen, wie Umfragen zeigen, kein Problem darin, Vergangenes zurückzuholen. Und die Kombination mit der Moderne? Nur drei Seiten wird der italienische Architekt Franco Stella, der 2008 den Wettbewerb gewann, rekonstruieren. Die vierte, zum Alexanderplatz hin, wird ein zeitgemäßer Block mit luftigen Loggien, von der barocken Pracht durch eine Fuge getrennt. Den sichtbaren Bruch zwischen Alt und Neu, der Berlin so spannend macht, gibt es also auch hier.

Vor allem bei der Nutzung wurde weise entschieden. Die ethnologische Sammlung ist ein starkes Symbol: An ihrem zentralsten Punkt betreiben die Deutschen keine Nabelbeschau, sondern öffnen sich der ganzen Welt. Nicht als Hegemon mit neokolonialer Gebärde, sondern in friedlicher, entspannter Absicht – mit der unstillbaren Neugier und dem Bildungsethos Humboldts. Was könnte besser zum Schmelztiegel Berlin, zur heimlichen Hauptstadt Europas passen?

Viele Berliner klagen trotzdem. Weil der Bund seine finanzielle Macht zur Schau stellt, die Reichen (noch) zu wenig spenden und sie keinen Bock auf noch mehr nervige Touristen haben. Ein gelehrter Mann sprach ihnen im 19. Jahrhundert aus der Seele: „Wohlstand ist, wenn man mit Geld, das man nicht hat, Dinge kauft, die man nicht braucht, um damit Leute zu beeindrucken, die man nicht mag.“ Auch dieses Zitat stammt, welch Ironie, von Humboldt.

Chronologie

1945 wird das Hohenzollernschloss in Berlin durch Bomben schwer beschädigt.

1950 befiehlt SED-Chef Ulbricht den Abriss.

1976 eröffnet Honecker am alten Schlossplatz den DDR-Palast der Republik.

2002 beschließt der Bundestag den Neubau des Stadtschlosses.

2008 geht der Auftrag an Architekt Franco Stella. Der Palast der Republik wird entsorgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2013)

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