Ars Electronica: Die beste Science-Fiction ist retro

Electronica beste ScienceFiction retro
Electronica beste ScienceFiction retro(c) HR gigier
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Das Linzer Festival befasst sich heuer mit dem Gedächtnis. Und erinnert sich an die Prä-Cyber-Fantasien des Schweizer Surrealisten HR Giger.

Das Herz ist eine Pumpe, die Lunge ein Blasbalg, die Adern sind Schläuche: Unsere biomechanischen Metaphern sind alt; die ängstliche Idee, dass wir im Grunde nur Maschinen sein könnten, verfolgt uns spätestens seit der Aufklärung. So haben die Cyber-Träume, die auf der Zukunft verschriebenen Festivals wie der Ars Electronica geträumt wurden und werden, oft etwas Archaisches an sich, gerade, wenn sie uns wirklich fesseln und schrecken. Wie die düsteren Geschöpfe des Schweizer Surrealisten HR Giger, der heuer endlich ist, was er seit Jahrzehnten hätte sein können: „featured artist“ der Ars Electronica. Verblüffend, wie er Motive der Cyborg-Fantasien vorwegnahm: Sein „Humanoid“, der eine Kamera statt der Augen und ein Tonbandgerät vor der Brust hat, stammt aus dem Jahr 1968.

Doch meist regiert bei ihm die schiere Mechanik: Seine Gebärmaschinen gehören in die Fabrikshalle, die Babys tragen schon Schutzbrillen und Werkzeug. Seine „Erotomechanics“ reduzieren den Geschlechtsverkehr eindrucksvoll auf klassische Mechanik, zartfühlende Gemüter waren ja stets imstande, das Pornografische an einer Dampfmaschine zu erkennen. Und wenn Giger einmal genuin lebendige, verästelte Strukturen zeigt, etwa im erschreckenden „Alpha“ den Virus, der einer Frau aus dem Hinterkopf wächst und sie anderswo befällt, dann weckt er Insektenalbträume, die tief in uns sitzen. Wie das Geburtstrauma in manchen Bildern Gigers: Das Baby ist ein fremdes Wesen, das die Mutter von innen befällt, ein „Alien“. Giger schuf die Visuals für diesen Film.

Wen schrecken Nelken in Gläsern?

Genau diese archaische Kraft fehlt der Kunst, die sich heute mit synthetischer Biologie befasst, meist. Sie wird ihrem großen Thema – wie aus Totem Lebendiges wird (und umgekehrt) – kaum je gerecht. Das zeigt die Ausstellung „Projekt Genesis“ im Ars Electronica Center. Nelken in Reagenzgläsern haben einfach nichts Aufwühlendes an sich, auch wenn sie blau, weil genmanipuliert sind. Da nutzen alle erklärenden Texte nichts, auch wenn sie noch so sehr nach gerecktem Zeigefinger klingen. Und manche künstlerischen Äußerungen zum Thema sind einfach nur banal: Wenn Alexandra Daisy Ginsberg etwa vorschlägt, den „Baum des Lebens“ um einen vierten Ast, den der vom Menschen geschaffenen „Synthetica“ zu erweitern, dann zeigt das, dass sie keine Ahnung hat, wie und woraus „neue Lebewesen“ gebastelt werden. Aus alten nämlich.

Naiv mutet auch „Into Your Hands Are They Delivered“ von Tobias Revell an: Im Begleittext schreibt er über die Schlupfwespen, deren Larven andere Insekten von innen auffressen, eine Grausamkeit, die etwa Charles Darwin nachhaltig verstörte. Und in der zugehörigen Pseudo-Doku schildert er einen Unfall mit genmanipulierten Wespen: Die Frage Darwins, wie böse die Natur auch ohne Menschen ist, lässt ihn offenbar kalt.

Es drängt sich ein Verdacht auf: Kunst, die sich mit Utopien befasst, ist heute um so schärfer, je älter die Utopien sind. Die beste Science-Fiction ist heute rückwärtsgewandt, retro. Das trifft auch auf die Kunst zu, die sich mit Gedächtnis und Speichermedien befasst. Sie kann mit Plattenspielern und Tonbändern mehr anfangen als mit Smartphones. Das sieht man in der zentralen Ausstellung „Total Recall“ im Brucknerhaus. Das ästhetisch anmutigste Werk, „Falling Records“ von Ei Wada, besteht aus vier von Tonbandgeräten gekrönten Stelen: Sie spielen die Bänder ganz langsam ab, man hört dumpfes Dräuen. Die Bänder sammeln sich in schönen Schlaufen auf dem Boden der Stele, bis sie ganz plötzlich zurückgespielt werden – und man hört, was sie gespeichert haben: den Donauwalzer.

Ähnlich klug ist „Quotidien Record“: Brian House hat die Daten seiner Aufenthaltsorte auf eine Schallplatte gepresst, die sich wie üblich 33-mal in der Minute dreht. Doch eine Umdrehung entspricht einem Tag im Leben dieses Brian, so rafft, verdichtet das Speichermedium seine Existenz. Und es zwingt ihr etwas Zyklisches auf, wie die Gestirne die Zeitrechnung, die sie prägen. Auch das macht wohl den Retro-Reiz der Plattenspieler aus. Sie verkörpern Klang und Zeit auf eine sichtbare Weise. Patrick Feaster behauptet in „Oldest Record Of History“, es sei ihm gelungen, die älteste Plattenaufnahme nur aus einem Foto zu rekonstruieren. Man hört eine uralte Stimme durch rhythmisches Dröhnen wie von einer Eisenbahn: Gedächtnisspur aus der Tiefe. Wenn das ein Fake ist, dann ist es ein guter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2013)

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