Jasper Sharp: „Jedes gute Bild braucht etwas Gift“

Jasper Sharp: „Jedes gute Bild braucht etwas Gift“
Jasper Sharp: „Jedes gute Bild braucht etwas Gift“(c) Christine Pichler
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Das war die Devise Lucian Freuds. Jasper Sharp, Kurator der Freud-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum, spricht über den Maler und das Schöne im Hässlichen.

Was wäre einer der größten zeitgenössischen Maler ohne seine illustre Verwandtschaft und die pikanten Geschichten aus seinem Privatleben? Lucian Freud (1922–2011), Enkel Sigmunds, beide interessierten sich für alte Kulturen, hatte mit mehreren Frauen 13 Kinder, gerüchteweise sollen es sogar vierzig sein. Der unheimliche Realismus der Bilder Lucian Freuds hat einen Grund in der Intensität, mit der sich der Künstler seinen Modellen widmete. Er redete, tafelte, ja lebte mit ihnen. Manche schrieben ein Buch darüber – oder Artikeln. Eine Journalistin, die mit Lucian Freud Champagner und Austern genossen hatte, wollte sich hernach nicht vernaschen lassen. Daher wurde sie auch nicht porträtiert, was ihren Nachfahren vielleicht leid tun wird. Die Preise für Arbeiten Lucian Freuds werden gewiss noch steigen: 33 Millionen Dollar brachte „Benefits supervisor sleeping“, das Abbild einer Beschäftigten des Arbeitsamtes und eines von Lucian Freuds berühmtesten Bildern. Das Kunsthistorische Museum hat mithilfe seines Kurators für zeitgenössische Kunst, Jasper Sharp, eine der wenigen und heiß begehrten Lucian-Freud-Ausstellungen an Land gezogen, die von einer Fotoschau über den Künstler im Sigmund-Freud-Museum in der Berggasse ergänzt wird. Im Interview erzählt Sharp von Lucian Freud, den er gut kannte, von dessen Kunst – und er bringt Licht ins Dunkel von Dichtung und Wahrheit um Freuds Fama.

Lucian Freud ist 2011 mit 88 Jahren gestorben. Er war einer der bedeutendsten figurativen Maler des 20. Jahrhunderts, berühmt für seine dramatischen Porträts wie für seine ereignisreiche Vita: Was ist das Besondere an der Ausstellung im Kunsthistorischen Museum, die ab 8. Oktober zu sehen ist?
Etwas ganz Besonderes an der Ausstellung ist, dass Freuds Arbeit zum ersten Mal in Wien ausgestellt wird; in Österreich, einem Land, das mit seinem Familiennamen bestens vertraut ist. Über viele Jahre hinweg weigerte sich Lucian Freud aus persönlichen Gründen, hier auszustellen, und lehnte mehrere Einladungen von Museen ab. Während einer Reihe von Treffen in den Monaten vor seinem Tod stimmte er einer Ausstellung im Kunsthistorischen Museum zu und auch, bei der Auswahl der Gemälde zu helfen. Wir werden einen prägnanten Überblick der bedeutendsten Arbeiten seiner gesamten Schaffenszeit präsentieren – insgesamt etwa 40 Arbeiten, die gemeinsam mit Lucian Freud ausgewählt wurden.
Das Kunsthistorische Museum zeigte 2004 eine Francis-Bacon-Ausstellung, Bacon und Freud waren befreundet.
So ist es. Der Unterschied zur Bacon-Ausstellung im KHM ist, dass es keine Gegenüberstellung von Lucian Freuds Arbeiten mit Meisterwerken der Gemäldegalerie geben wird. Es war Freud wichtig, dass er für sich bleibt – und der Besucher selbst Assoziationen zu Arbeiten aus der Sammlung des Kunsthistorischen Museums herstellen kann. Freud ist besonders passend für das KHM, weil für ihn Alte Meister sehr wichtig waren. Er sagte, er benutze sie wie eine Bibliothek oder wie andere den Arzt aufsuchen. Er ging z. B. in die Londoner National Gallery und sah sich an, wie man ein Ohr malt. Er besichtigte alle großen Museen der Welt. Er besaß selbst einige wundervolle alte Gemälde und Skulpturen, die nach seinem Tod an verschiedene Museen gingen.

Porträts sind meist idealisiert und dazu da, dem Auftraggeber und Zahler der Bilder zu gefallen. Lucian Freuds Gemälde sind genau das Gegenteil von gefällig.
Stimmt. Darum bevorzugte Lucian Freud auch jene Maler, die Porträts nicht idealisierten. Er liebte Tizian, Velázquez, Rembrandt, Chardin und Hals. Da Vinci, Raffael und Vermeer konnte er nicht leiden. Er sagte immer: „Jedes gute Bild braucht ein bisschen Gift“ und so gestaltete er auch seine eigenen Gemälde. 

Welche Beziehung hatte Lucian Freud zu seinem Großvater Sigmund, dem Begründer der Psychoanalyse?
Sigmund Freud hatte eine archäologische Sammlung, die er mithilfe eines Kurators aus dem Kunsthistorischen Museum aufbaute. Er nahm sie mit in die Emigration nach London. Lucian hat seinen Großvater in Wien und London besucht. Sigmund wiederum brachte seinem Enkel Reproduktionen von Gemälden aus dem Kunsthistorischen Museum nach Berlin mit, als er sich dort einer Krebsbehandlung unterziehen musste. Lucian hängte die Bilder in seinem Zimmer auf, studierte sie. Sigmund brachte ihm auch ein Buch über die Geschichte Ägyptens, das Lucian ein Leben lang begleitete. Er hat Bilder aus diesem Buch mehrmals kopiert – und sie als Basis für seine Porträts verwendet. Lucian Freud war fasziniert von der ägyptischen Kunst. Sigmund hat Lucians Erfolg nicht mehr erlebt, aber er hat sein Interesse für die Malerei immer unterstützt und gefördert.

Lucian Freuds Gemälde sind das Gegenteil des heutigen Körperkults, sie scheinen ihn geradezu zu konterkarieren: Schönheit, Training, Schönheitsoperationen, Ernährung, ein perfekter Körper sind so wichtig geworden. Hat Lucian Freud das bedacht? Er hat auch Models gemalt wie die schwangere Kate Moss, aber die meisten seiner Gemälde zeigen den Körper rau, roh.
Die Leute glauben, Lucian Freud malte nur grotesk hässliche Bilder, aber das ist nicht wahr. Für ihn war wichtig, dass er jemanden interessant fand, nicht nur physisch. Er konnte keine Zeit mit Menschen verbringen, die ihn weder intellektuell noch gefühlsmäßig anzogen. Er wollte alles über seine Modelle wissen.

Der Arbeitsprozess dieser Gemälde soll extrem aufwendig gewesen sein.
Sehr. Er sprach mit seinen Modellen, kochte für sie, sang, tanzte, rezitierte Gedichte, führte sie aus. Es gibt ein großartiges Buch von dem Kunstkritiker Martin Gayford, der Modell für „Mann mit blauem Schal“ saß, und sein Tagebuch über die Entstehung des Bildes veröffentlicht hat. Die Arbeit an den Porträts dauerte oft drei bis vier Monate, manchmal auch länger. Die Modelle saßen stundenlang unter dem stechenden Blick Freuds, der sich vollkommen auf sie konzentrierte, was ziemlich einschüchternd wirken konnte. Es gibt Porträts bei Tageslicht und bei Nacht. Die Menschen auf Lucians Bildern sehen oft extrem gelangweilt oder erschöpft aus, das lag an der Anstrengung, weil sie viele Stunden in ihren Posen verharren mussten. Ihr Blick ist aber auch oft auf eine wunderbare Weise nach innen gerichtet, geradezu meditativ.

Lucian Freud war zweimal verheiratet, hatte unzählige Liaisons und 13 Kinder. Er muss ein heftiges Liebesleben gehabt haben. War er so besitzergreifend und tyrannisch wie Picasso?
Nein, die beiden waren sehr unterschiedlich. Aber Lucian Freud hatte ein starkes Charisma. Er genoss die Gesellschaft ganz unterschiedlicher Menschen, Frauen, Männer, Kinder, Fremder. Er lebte intensiv, liebte gutes Essen und die Geschwindigkeit, z. B. beim Autofahren. Bei der Gedenkfeier für ihn sprachen einige seiner Kinder. Ein Sohn sagte, Lucian war extrem selbstsüchtig – Gott sei Dank. In einem Nachruf hieß es, Selbstsucht war bei ihm beinahe ein Kompliment. Er ging eben völlig in seiner Arbeit auf. Seine Familie, seine Kinder ließen sich manchmal von ihm porträtieren, weil das die einzige Möglichkeit war, längere Zeit mit ihm zusammen zu verbringen.

In einem Interview sagte Lucian Freud, er habe sich geprügelt – weil seine Bilder als hässlich verunglimpft wurden.
Kann sein. Er hatte es sicher nicht leicht nach der Emigration nach London. Die Familie wurde zwar durch eine Intervention aus Kreisen des Hochadels rasch eingebürgert, aber 1940, mitten im II. Weltkrieg, in London herumzumarschieren, sich im Nachtleben herumzutreiben, mit einem deutschen Akzent, der übrigens melodiös klang und den er bis zu seinem Tode behielt, das weckte Aggressionen. Trotzdem liebte Lucian alles an England, die Geschichte, die Kultur, das Essen. Er war sehr dankbar, dass er von diesem Land aufgenommen wurde. Es gibt eine ganze Gruppe von Emigranten in England: Frank Auerbach, David Bomberg, Leon Kossoff, RB Kitaj, diese Generation.

Lucian Freud war ein leidenschaftlicher Spieler.
Er porträtierte seine Buchmacher, gab ihnen Bilder zur Bezahlung seiner Schulden. Als er gut verdiente und es sich leisten konnte zu verlieren, hörte er auf: No risk no fun. Er porträtierte Bankräuber, Bauern – und viele Prominente, darunter Baron Hans Heinrich von Thyssen-Bornemisza, den Vater von Francesca von Habsburg.

Was gibt es noch in der Ausstellung außer Porträts?
Wir haben Landschaften und einige außergewöhnliche Stillleben wie zum Beispiel „Bananas“. 1953 wurde Queen Elizabeth II. gekrönt und Lucian Freud war in großen privaten Schwierigkeiten. Er floh vor all diesen Turbulenzen nach Jamaica. Dort traf er Ian Fleming, der seinen ersten James-Bond-Roman schrieb: „Casino Royale“. Die beiden lebten in Flemings wunderschönem Haus am Meer mit Namen „Goldeneye“. Morgens standen sie vom Frühstückstisch auf und gingen an die Arbeit: Fleming schrieb, Lucian malte. Damals entstand „Bananas“.

Lucian Freuds Vater war Architekt. Bekam Lucian Geld von zu Hause mit?
Zu Beginn war er arm, er hatte nichts, auch infolge des Spielens. Frühe Bilder malte er mit ganz einfachen Hausfarben. Sie können aus konservatorischen Gründen nicht nach Wien transportiert werden. Wir haben aber eine wirklich tolle Auswahl an Gemälden zusammengestellt – was insofern nicht leicht war, als vor allem viele Privatsammler nach den zahlreichen Ausstellungen der letzten Jahre ihre Bilder nicht verleihen wollten.

Der Madrider Prado stieg aus der Kooperation aus.
 Ja, leider, weil die Spanier durch die Wirtschaftskrise enorme Streichungen bei den Kulturbudgets haben. Daher wird die Ausstellung nur in Wien zu sehen sein, was auch seine Vorteile hat. Wir haben jetzt doch viele private Leihgaben, aber auch solche der wichtigen Institutionen: des Metropolitan Museum in New York, der Tate Gallery in London, des Ashmolean Museum in Oxford, des Hirshhorn Museum in Washington DC, des Art Institute of Chicago usw. Lucian wünschte sich neue Autoren für den Katalog, wir haben Experten für niederländische, deutsche, spanische Malerei gebeten, Beiträge zu schreiben.

Welche Bedeutung haben die vielen Tiere auf den Gemälden Lucian Freuds?
Eines seiner frühesten Gemälde in London ist der ausgestopfte Kopf eines Zebras. Er war von Tieren fasziniert, vor allem von ihrer Unberechenbarkeit, aber auch von der Verwandtschaft zwischen Tier und Mensch. Es gibt Gemälde mit Hunden, Pferden, Vögeln, Hühnern, Ratten und Affen. Wir haben ein Bild in der Ausstellung, in dem eine Frau mit ihrem Windhund auf einem Bett liegt, es ist vielleicht das intimste Gemälde in der ganzen Ausstellung, wie diese zwei Geschöpfe sich aneinanderschmiegen.

Was ist das Anforderungsprofil eines Kurators für zeitgenössische Kunst in einem alten Museum? Gibt es das anderswo?
Zunehmend. Die National Gallery in London, die Eremitage in St. Petersburg, der Louvre haben alle einen Kurator für zeitgenössische Kunst. Die Idee ist, die alten Sammlungen näher an die Gegenwart heranzuführen, Zusammenhänge zwischen alter und neuer Kunst aufzuzeigen. KHM-Generaldirektorin Sabine Haag und ich haben uns geeinigt, nichts zu zeigen, was in einem anderen Museum mehr Sinn haben würde. Die zeitgenössischen Ausstellungen müssen auf das KHM zugeschnitten sein. Wir werden jetzt alle zwei Jahre eine Retrospektive wie jene über Lucian Freud machen. Als Nächstes präsentieren wir gemeinsam mit der Royal Academy in London den großartigen amerikanischen Künstler Joseph Cornell (1903–1972). Wir werden Bezüge zwischen seinem Werk und der Kunstkammer sowie der Gemäldegalerie herstellen.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Blockbuster im Ausstellungswesen ein? Viele Bilder von einem berühmten Künstler werden versammelt. Da gibt es jedoch zunehmend konservatorische Bedenken und auch die Versicherungssummen werden immer höher und schwerer finanzierbar.
Ich bin kein so großer Freund von Blockbustern. Lieber 40 erstklassige Bilder – und das war’s. Einige dieser Riesenretrospektiven habe ich komplett erschöpft verlassen.

Tipp

Lucian Freud. 8. Oktober 2013 bis 6. Jänner 2014, Öffnungszeiten: Di bis So 10–18 Uhr, Sonderöffnungszeiten: Do und Freitag 10–22 Uhr. Umfangreiches Rahmenprogramm, darunter 29. 10. Filme über Lucian Freud in der Kuppelhalle, am 28. 11. wird die BBC-Doku über ihn gezeigt. Im Freud-Museum werden zeitgleich mit der KHM-Schau Fotos von Lucian Freud präsentiert („Freud privat“ von David Dawson, seinem langjährigen Assistenten).

www.khm.at
www.freud-museum.at

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