Deutschland: 1500 verschollene Gemälde entdeckt

Deutschland 1500 verschollene Gemaelde
Deutschland 1500 verschollene Gemaelde(c) imago stock&people (imago stock&people)
  • Drucken

Einem Bericht zufolge wurden in einer Münchner Wohnung Gemälde von Picasso, Klee, Kokoschka u. a. gefunden. Der Bewohner ist mit Kunsthändler Wolfgang Gurlitt verwandt.

München. Die Gemälde waren in Regalen verstaut, die der 80-jährige Mann eigens für diesen Zweck angefertigt hatte. Insgesamt 1500 Bilder wurden so in einer Münchner Wohnung aufbewahrt. Ihr Gesamtwert dürfte eine Milliarde Euro betragen: Es sind Bilder von Pablo Picasso, Henri Matisse, Paul Klee, Marc Chagall, Oskar Kokoschka und vielen mehr.

Die Werke wurden ab den 1930er-Jahren von den Nationalsozialisten konfisziert und von einem Kunsthändler aufgekauft. In der Wohnung seines Sohnes wurden die als verschollen geglaubten Bilder wiedergefunden, wie das deutsche Nachrichtenmagazin „Focus“ berichtet. Demnach wurden sie bereits im Frühjahr 2011 entdeckt, allerdings sei die Aktion geheim verlaufen und erst jetzt bekannt geworden. Die Werke wurden in einem Sicherheitstrakt des bayerischen Zolls bei München untergebracht, heißt es im Bericht. Derzeit sei eine Kunsthistorikerin damit beschäftigt, die Gemälde zu katalogisieren. Ihre bisherigen Ergebnisse: Mindestens 300 Werke wurden von den Nazis als „entartete Kunst“ konfisziert, für weitere 200 liegen offizielle Suchmeldungen vor. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Augsburg hat den Bericht allerdings noch nicht bestätigt.

Kunst für Führermuseum

Jener Mann, der die Gemälde hortete, soll bisweilen von ihrem Verkauf gelebt haben. Auch nach der Razzia in seiner Wohnung soll er ein Bild Max Beckmanns für rund 864.000 Euro in Köln verkauft haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Steuerhinterziehung. Bei einer Zugfahrt vor drei Jahren von der Schweiz nach München wurden Beamte im Rahmen einer Bargeldkontrolle zufällig auf ihn aufmerksam, heißt es.

Weitere Ermittlungen hatten eine Hausdurchsuchung zur Folge. Vor dieser Kontrolle war die Existenz des Mannes den Behörden anscheinend nicht bekannt. Dabei stammt der Mann aus einer bekannten, sogar einschlägig bekannten Familie: Sein Vater war der Kunsthistoriker Hildebrand Gurlitt, Cousin des Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt, der in Linz nach dem Krieg mit seiner teils in der NS-Zeit zusammengerafften Sammlung die Neue Galerie der Stadt, heute das Lentos-Museum, gründete.

Seit 1999 wird die Sammlung auf Raubkunst untersucht, seit 2003 werden immer wieder Werke aus dem ehemaligen Besitz Gurlitts oder Ankäufe aus der Zeit, als er Museumsdirektor in Linz war, restituiert. Wolfgang Gurlitt (1888–1965) hat wohl direkt mit seinem Cousin Hildebrand (1895–1956) zusammengearbeitet. Der Vater des Mannes, in dessen Münchner Wohnung jetzt ebenfalls unter anderem Raubkunst gefunden wurde, genoss unter den Nazis trotz jüdischer Vorfahren und trotz seines Einsatzes für „entartete“ Kunst und Künstler einen guten Ruf als Kunstexperte.

Der ehemalige Direktor des Zwickauer König-Albert-Museums war als einer der Einkäufer für den „Sonderauftrag Linz“ engagiert. Das heißt, er sollte Kunst für das geplante Führermuseum zusammentragen. Außerdem war Hildebrand Gurlitt vom NS-Propagandaministerium damit beauftragt worden, die deutschen Museen von „entarteter Kunst“ zu „säubern“ und diese ins Ausland zu verkaufen. Nutznießer dieser „Verwertungsaktion“ war unter anderem auch der Cousin Wolfgang Gurlitt.

Zu den jetzt entdeckten Werken gehört laut „Focus“ übrigens auch ein Gemälde von Matisse aus der Sammlung Paul Rosenbergs. Erbin ist die französische Journalistin (und Exfrau des ehemaligen Politikers Dominique Strauss-Kahn) Anne Sinclair. (red./sp)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

GERMANY ARTS
Kunst

Fall Gurlitt: "Freiwillig gebe ich nichts zurück"

Er habe der Staatsanwaltschaft bereits etliche Belege geliefert, die ihn von jedem Verdacht entlasteten, sagt der Kunsthändlersohn.
Wilhelm Lachnit: ''Mann und Frau im Fenster'' (1923)
Kunst

Gurlitt ein Fall für den österreichischen Fiskus?

Der Kunstsammler, bei dem Raubkunst gefunden wurde, soll in Österreich Steuern bezahlt haben. Die Augsburger Anklagebehörde verteidigt die Steuerermittlungen.
Kunst

Gurlitt will nichts zurückgeben

Cornelius Gurlitt redet mit dem "Spiegel": Alles werde "falsch dargestellt".
Mitreden

Operation Gurlitt: Eine Posse mit „Glücksgefühlen“

Im Rechtsstaat Deutschland reicht offenbar die Auffälligkeit bei einer Routine-Zollkontrolle aus, um die Existenz eines bis dahin unbescholtenen Bürgers zu vernichten. Die Behörden haben sich von einer vernünftigen Lösung inzwischen meilenweit entfernt.
GERMANY NAZI LOOTED ART
Kunst

Behörden wollen Einigung mit Cornelius Gurlitt

Fast zwei Wochen nach dem Fund des Kunstschatzes kommt Bewegung in den Fall. Auch eine Gesetzesänderung zur NS-Raubkunst ist im Gespräch.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.