„Unsere Stadt!“: Dauerausstellung im Jüdischen Museum

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Die neue Dauerausstellung eröffnet 20 Jahre nach der Eröffnung des Museums. Sie beginnt 1945 und führt dann zurück bis ins 13.Jahrhundert.

Ein Koffer, ein Gewehr: Mit zwei stark aufgeladenen Gegenständen beginnt die neue Dauerausstellung des Wiener Jüdischen Museums. Der Koffer gehörte Frieda Jacobowitz, sie nahm ihn mit, als sie 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. 1944 wurde sie in Auschwitz ermordet.

Das Repetiergewehr ist von dem Fotografen Harry Weber. Er floh 1938 mit 17 Jahren nach Palästina, 1944 schloss er sich der Jewish Brigade der britischen Armee an. 1946 kehrte er nach Österreich zurück. Das Gewehr hob er samt Munition bis zu seinem Tod 2007 im Keller auf.

Harry Weber fotografierte u.a. Jerusalem, Wien bei Nacht, Salzburg im Licht. Und er machte sich 1993 auf eine Reise durch das jüdische Wien, vor allem das Wien der nach 1945 aus Osteuropa zugewanderten Orthodoxen. Eines seiner Fotos hängt jetzt in der Ausstellung: Es zeigt sephardische Juden beim Taschlich, das ist ein Ritual des jüdischen Neujahrsfests (Rosch ha-Schana), bei dem Brösel in einen Fluss geworfen werden, als Symbol für die Sünden des alten Jahres.

Der Fluss auf dem Bild ist der Donaukanal, der die Innere Stadt von der Leopoldstadt trennt. In jener war die erste jüdische Gemeinde Wiens daheim, ab dem frühen 13.Jahrhundert. 1420 wurde sie gewaltsam aufgelöst, ihre Mitglieder wurden vertrieben. Die Überreste der damals zerstörten Synagoge sind heute im Museum Judenplatz zu besichtigen, dem zweiten Standort des Jüdischen Museums.

Ab 1625 in der Leopoldstadt

Auch die zweite Gemeinde – ab 1600 – entstand in der Inneren Stadt, um die heutige Seitenstettengasse. 1625 wurde sie in die Leopoldstadt übersiedelt, in den „Unteren Werd“ (an der Taborstraße), 1670 wurden die Juden schon wieder vertrieben.

Die dritte jüdische Gemeinde wurde erst 1852 gegründet, vier Jahre nach der Revolution, in der etwa Ludwig August Frankl gekämpft hatte, einer der vielen Juden mit deutschnationaler Gesinnung. „Die Freiheit der Juden ist zugleich die Freiheit des Deutschtums“, schrieb der Wiener Rabbiner Adolf Jellinek 1848; und es war ein antirevolutionäres Flugblatt, auf dem im selben Jahr stand: „Die Juden werden immer zudringlicher!“ Ob Musik als Sprache der Assimilation dienen könne, fragt eine andere Vitrine: Sie stellt Karl Goldmark vor, einen jüdischen Komponisten und großen Wagnerianer, dessen Hauptwerk, „Die Königin von Saba“, 1875 in der Wiener Hofoper uraufgeführt wurde. In diesem Jahr kam Karl Lueger in den Gemeinderat, der 1897 Wiener Bürgermeister werden sollte. Wegen seines Antisemitismus wurde 2012 der Dr.-Karl-Lueger-Ring in Universitätsring umbenannt. Die alte, lang umstrittene Straßentafel: ein weiteres historisch aufgeladenes Objekt in der schlicht und gut inszenierten Ausstellung.

Über die jüdischen Gemeinden bis zur Shoa erzählt sie im zweiten Stock des Museums, doch sie beginnt im Parterre mit dem Jahr 1945, mit der Zweiten Republik, die sich so lange so schwertat, die Schuld der NS-Zeit zuzugeben. Die anfangs wenig Interesse zeigte, die Vertriebenen zurückzuholen: Innenminister Oskar Helmer warnte 1947 gar davor, „dass ganz Österreich von den Juden überflutet wird“. Man kann Qualtingers „Herrn Karl“ hören und Georg Kreislers bitteren „Weg zur Arbeit“, man sieht die „Tante Jolesch“ und das Duo „Geduldig und Thimann“: Zeugnisse dafür, dass die Kultur einige Vorarbeit dafür geleistet hat, dass es heute die meisten Wiener selbstverständlich finden, dass das Jüdische Museum „Unsere Stadt!“ ruft. Dass man heute nur mehr den Kopf schüttelt, wenn H.-C.Strache eine antisemitische Karikatur alten Stils auf seine Homepage stellt.

Ja, auch dieses Zerrbild findet sich (unter „Das Letzte“) in der Ausstellung. Interessanter – und eines längeren Besuchs wert – sind die Bilder des heutigen jüdischen Lebens in Wien. Man würde sich nur eine ergänzende Schautafel wünschen: eine Karte von Wien, auf der alle Orte eingezeichnet sind, an denen dieses stattfindet, vom Maimonides-Heim bis zum Sephardischen Zentrum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2013)

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