Der 81-jährige Kunstsammler starb am Montag.
Schon seit das erste Bild von ihm in der Öffentlichkeit auftauchte, wirkte er verstört. Gar nicht „seltsam“, wie es kürzlich eine TV-Dokumentation mit ihrem Titel „Der seltsame Herr Gurlitt“ suggerierte und doch die Antwort schuldig blieb, worin denn das „Seltsame“ eigentlich besteht. Dass er 1280 Bilder in seiner Münchner Wohnung hortete, die er als Sohn des äußerst ambivalenten NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt geerbt hatte, ehe sie vor zwei Jahren von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung einbehalten wurden? Ja, nicht gewöhnlich und für den Kunstmarkt allemal von großem Interesse, wiewohl die künstlerische und kunstgeschichtliche Bedeutung des angeblichen Jahrhundertfundes von Experten alsbald relativiert wurde. Manche sprachen gar von einer riesigen Blase, auch wenn sich Werke von Picasso, Chagall, Matisse, Beckmann und Nolde in der Sammlung befanden.
Zuletzt schwer krank
Der Rest des Falles lebte von der Sensation und von der zeitgenössischen Verblüffung, ja nahezu Empörung darüber, dass jemand anders lebte als der Mainstream. Und ja, Gurlitt lebte „anders“. Was manchen Medien und der Öffentlichkeit ausreichte, ihn als „Messie“ zu bezeichnen – obwohl er in einer durchschnittlich sauberen Wohnung lebte.
Viele Details aus seinem Leben wurden nicht bekannt. Vielleicht wollte Gurlitt sich ganz einfach nicht über sich auslassen. Vielleicht konnte er sich auch nicht besser mitteilen.
Man gewann den Eindruck, dass ihm die Bilder, von denen er entsprechend liebevoll sprach, wenn er denn sprach, im Laufe des Lebens immer mehr zum Ersatz für menschliche Beziehungen geworden sind. Durch Zukäufe erweitert hat er die Sammlung nicht. Nur alle paar Jahre ein Bild veräußert, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Verstörung in seinem Gesicht rührte offenbar vom Schock her, den die Beschlagnahmung der Bilder in ihm ausgelöst hat. „Seine Bilder“ habe man ihm genommen, wiederholte er fast benommen. Erst nach und nach kamen die Behörden in Kritik, zumal sich immer mehr herausstellte, dass der größte Teil der Sammlung rechtmäßig in Gurlitts Besitz war. Gurlitt selbst, der zuletzt unter Betreuung stand und schwer krank war, sicherte schließlich Anfang April der deutschen Bundesregierung und dem Freistaat Bayern vertraglich zu, seine Sammlung von Experten untersuchen zu lassen und gegebenenfalls geraubte Bilder ihren rechtmäßigen Erben zurückgeben zu wollen. Daraufhin hob die Staatsanwaltschaft Augsburg die Beschlagnahme der Kunstwerke auf.
Einen Monat später ist Cornelius Gurlitt im Alter von 81 Jahren nach einer schweren Herzoperation und einem längeren Klinikaufenthalt in seiner Münchner Wohnung gestorben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2014)