"Der Brancusi-Effekt": Säulen ohne Anfang und Ende

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Die Kunsthalle Wien am Karlsplatz zeigt Variationen der berühmten "endlosen Säule" von Constantin Brâncuşi. Bis 21.September.

Eigentlich war der rumänische Bildhauer Constantin Brâncuşi (1876-1957) mit einem Heldendenkmal beauftragt worden. Entstanden ist dann 1938 „Die endlose Säule“, eine fast 30 Meter hohe Säulenskulptur, die in Târgu Jiu am Südrand der Karpaten in Rumänien steht. Brâncuşi selbst nannte sie „Himmelsleiter“, er fügte dem radikalen Mahnmal später noch den „Tisch des Schweigens“ und „Das Tor des Kusses“ hinzu. Aber nur die Säule gilt bis heute als eine der wichtigsten Skulpturen des 20. Jahrhunderts.

Seit einiger Zeit begegnen wir der Form dieser berühmten Säule jetzt wieder in Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Brâncuşi ließ sein Mahnmal goldglänzend bauen, um „Sphären jenseits des Realen“ zu beschwören. Die aktuellen Variationen dagegen sind aus Töpfen, Wollknäueln, Orangen oder Kesseln gebaut. Auch in der seit dem Umbau massiv geschrumpften Ausstellungsfläche der Kunsthalle Wien am Karlsplatz sind einige solcher Retro-Säulen aufgestellt. „Der Brancusi-Effekt“ heißt die Ausstellung mit Werken von 24 Künstlern. Ursprünglich sollte die Schau ein Teil der Bukarest-Biennale sein, deren Leitung Kunsthallen-Direktor Nicolaus Schafhausen allerdings Anfang des Jahres zurückgelegt hat: Beide Seiten waren mit der Zusammenarbeit aus diversen Gründen nicht mehr einverstanden.

André Caderes „Malerei ohne Ende“

Das habe aber am Konzept von „Der Brancusi-Effekt“ nichts geändert, beteuert Schafhausen: Sämtliche Künstler in der Ausstellungen beziehen sich in ihren Werken explizit auf Brâncuşi – oder auf André Cadere (1934–1978). Dieser polnisch-rumänische Künstler wurde in den 1970er-Jahren berühmt durch seine mit farbigen Segmenten bemalten Holzstangen, die angelehnt an der Wand standen. Eine „Malerei ohne Ende“ nannte Cadere die Objekte damals. Wie Brâncuşis Säule haben sie kein Oben, kein Unten, keinen Anfang, kein Ende. Diese schlanken Formen sind ohne Sockel direkt mit der Erde verbunden – auch das ist ein Erbe Brâncuşis: Der Sockel ist in Brâncuşis Werken gleichwertiger Teil der Skulptur.

Ohne klare Referenzen oder kluge Konzepte behaupteten diese Formen damals ihren Raum. „Autonome Kunst“ nannte man die Werke – ein Anspruch, der Ende des 20. Jahrhunderts genauso tabu war wie das Material Marmor, das für einen akademisch-konservativen Kunstbegriff stand. Beides feiert jetzt in der zeitgenössischen Kunst eine Renaissance. Und genau das zeigt uns die Kunsthalle. Olaf Nicolai etwa greift den Trend auf und legt zwei Marmorplatten auf den Boden. Ein Zettel klärt die Referenz: Wenn genügend Menschen lange genug darauf stehen, entstehen Abreibungen – wie auf den Steinen des byzantinischen Hofzeremoniells im ehemaligen Konstantinopel. Humorvoll ist das leger an die Wand gelehnte, weiße Fahrrad von Saâdane Afif: Eine Stange ist im Stil von Cadere bemalt, der Titel: „L'Andre“. Und natürlich die Säulen: geruchsintensiv aus Seife gebaut, wie sie Rudi Stanzel schon 1992 in der Wiener Secession gezeigt hat und hier jetzt wiederaufführt; aus Gips, der von Zahntechnikern benutzt wird (Anca Munteanu Rimnic), aus gebrauchten Wagenhebern (Sofia Hulten), aus alten Eimern (Haraldur Jonsson) oder etwas gequetscht und durchlöchert auch als Architekturmodell (Jürgen Mayer H.). Offenbar wollen die Zeitgenossen die „Sphären jenseits des Realen“ in den Alltag herunterholen.

Andere Arbeiten sind nicht so leicht zu erklären, geradezu kryptisch sogar in ihren Material-Arrangements und vielleicht sogar autonom in ihren Formenspielen. Dicht beisammen aufgestellt in dem kleinen Raum, stellen sie die Betrachter vor Rätsel: Wo genau sind die Referenzen zu Brâncuşi und Caldere – in der Befreiung vom Sockel oder noch darüber hinaus? In einer winzig kleinen, eingebauten Kammer sind 19 Fotografien ausgestellt, die Brâncuşi selbst von seinen Werken schoss. Auch befinden sich zwei Holzstangen von Caldere im Raum. Aber die Kunsthalle hat auf jegliche Vermittlung verzichtet, nicht einmal die Geburtsjahre der Künstler sind zur historischen Verortung angegeben – welch erfrischendes Statement für das Kennertum: Wo die Vorbilder enden und die Retro-Positionen beginnen, ist nur für Spezialisten erkenntlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2014)

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