Was der Selbstauslöser erzählt

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Das Österreichische Kulturforum in New York zeigt unter dem Titel "Self-Timer-Stories" Fotografien von österreichischen und New Yorker Künstlern.

Wie Rockstars wirkten sie nicht gerade, die vier etwas molligen Ladys fortgeschrittenen Alters, die sich am Abend nach der Vernissage der „Self-Timer-Stories“ auf der Bühne des Austrian Cultural Forum York einfanden. Sie gaben eines der raren Konzerte der Disband – einer No-Wave-Künstlerinnen-Band, die von 1978 bis 1982 in wechselnden Formationen aktiv war, darunter auch Barbara Kruger und Martha Wilson. Alle paar Jahre kommt es zur Reunion, meistens im Rahmen einer Ausstellung – dann, wenn sie wie diesmal einen feministisch-konzeptuellen Bezug hat.

Das Revival ruft unweigerlich die Erinnerung an das New York der späten 1970er, frühen 1980er wach. „No Wave“ war die aus einer parodistischen Reaktion auf „New Wave“ entstandene Bezeichnung für eine zwar kurzlebige, aber einflussreiche avantgardistische Bewegung. Aktionsradius war hauptsächlich die Lower Eastside New Yorks. Mainstream war No Wave schon damals nicht. Nicht Glamour und Optik zählten, sondern Inhalte. Das war auch die Botschaft des aktuellen Konzertes: In einem rhythmischen Sprechgesang in A-cappella-Manier gaben Disband, teilweise unterstützt durch Requisiten wie Zeitungen, Regenschirme oder Hütchen, Texte zum Besten, die ihre Kraft bis heute nicht verloren haben. Sie setzen sich – oft mithilfe von kabarettistischen Elementen – für die Rechte von Minderheiten ein, für Frauen, Lesben, Schwule, Schwarze; sie beziehen Stellung gegen die Konsumgesellschaft und die politischen Akteure.

Die Ära der 1970er- und 1980er-Jahre ist auch diesmal der Bezugspunkt für den Auftritt der früheren Girlie-Band. Die Inhalte decken viele der Themen ab, die auch die Arbeiten der Ausstellung mit Selbstauslöserbildern behandeln, die Kuratorin Felicitas Thun-Hohenstein aus den Beständen der Fotosammlung des Bundes sowie privaten Leihgaben, zum Teil auch aus den Künstlerarchiven, zusammengestellt hat. 19 Positionen hat sie dafür ausgesucht, das Gros davon sind österreichische Künstler verschiedener Generationen, von Valie Export, Friedl Kubelka, Renate Bertlmann bis zu Dorit Margreiter, Matthias Herrmann oder Katrina Daschner. Ein kleinerer – aber wichtiger – Teil der Ausstellung besteht aus Werken von New Yorker Künstlerinnen, darunter prominente Namen wie Carolee Schneemann oder Francesca Woodman.

Hype der „Selfies“

Das ist nicht nur ein kluger Schachzug, um die Ausstellung auch für das New Yorker Publikum interessant zu machen, sondern, viel wichtiger noch, eine wichtige Geste gegenüber den österreichischen Künstlerinnen: Die großen Linien auch der neueren westlichen Kunstgeschichte wurden zuerst am Beispiel der mächtigen Szenen wie den US-amerikanischen niedergeschrieben, die kleinen Szenen, zu denen die österreichische Kunstlandschaft nun einmal gehört, haben da lange Zeit wenig Beachtung gefunden, obwohl die Inhalte ähnliche waren und sind.

Aufmerksamkeit ist der Ausstellung auch aus einem anderen Grund gewiss: durch den Hype der Selfies in den sozialen Medien. Doch es wäre zu kurz gegriffen, die Arbeiten dieser „Self-Timer-Stories“ (die übrigens bislang in Ausstellungen nur wenig Beachtung fanden) als Urform der schleißigen Selbstbilder der Gegenwart zu interpretieren. Die Ausstellung fokussiert vielmehr mit großer Präzision das technische Moment und den Raum, der durch die Entfernung des Selbstauslösers von der Kamera definiert wird. Jene intimen Erzählungen auch, die formuliert werden, indem sich das Selbst bald voller Mut und Lust, bald voller Scheu vor der Kamera exponiert und bisweilen auch exhibitioniert. Jene Erzählung also, die Fragen der sozialen wie auch der sexuellen Identität ins Spiel bringt, die Verkleidungen ebenso wie Entkleidungen provoziert oder Inszenierungen in Gang setzt: Da schlüpft etwa Peter Weibel 1967 in die Rolle einer Frau, die sich für ein Triptychon selbst porträtiert.

Renate Bertlmann wiederum dreht das Rad der Geschlechterzuweisungen in die andere Richtung, dekliniert in ihrer allerersten Selbstauslöser-Arbeit, einer Diaserie aus dem Jahr 1969, weibliche Rollenbilder durch und wirft sich acht Jahre später für die Masturbationsserie „Renée ou René1“ in Männerkleider. Birgit Jürgenssen und Friedl Kubelka setzen sich mit dem Thema der eigenen Nacktheit und Schutzlosigkeit auseinander. Martha Wilson wiederum, feministische Künstlerin der ersten Stunde, bringt die Frage der Wahrnehmung durch das Gegenüber ins Spiel. Bei den Jüngeren verschiebt sich der Fokus: weg vom Selbst, hin zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Klischees und Rollenbildern. Hans Weigand etwa inszeniert sich für seine 24-teilige Farbserie als Disco Boy, während Katrina Daschner mit der Maskerade des eigenen Gesichts spielt.

Wenngleich die Arbeiten nicht alle über den Kamm des Feminismus oder der Minderheitenpolitik geschoren werden können: Die Geste der Befreiung ist ein durchgängiges Thema. Die Dialoge und die Arbeit des Selbst mit der Kamera machen diese auch zum Instrument der Emanzipation.

Bis 8.September im Austrian Cultural Forum New York. Im Herbst wird die Ausstellung in erweiterter Form am Museum der Moderne in Salzburg gezeigt. www.acfny.org/

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2014)

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