Der Krieg, das Unrecht, die Kunst

Jörg Immendorff/Felix Droese - Neuer Krieg Neue Kunst
Jörg Immendorff/Felix Droese - Neuer Krieg Neue Kunst(c) http://www.museumdermoderne.at/
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Von der Vertreibung der Protestanten bis zu Mao, von den Kreuzzügen bis zum Vietnamkrieg: Das Museum der Moderne erzählt „Kunst/Geschichten“.

Nur drei Monate hatten die Protestanten Zeit, um all ihren Besitz zu verkaufen. Dann mussten sie laut „Emigrationserlass“ Salzburg verlassen, ihre Kinder zurücklassen. Die ersten 800 Ausgewiesenen zogen im November 1731 aus dem Land, insgesamt entschieden sich 20.000 Salzburger für ihren Glauben und gegen ihre Heimat. Diese Vertreibung hielten damals viele Kupferstecher in Bildern fest, die auf Messen und Märkten verkauft wurden, oft an jene, die den Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Deutschland oder Holland halfen. Häufige Motive waren Karten mit den Wanderwegen, Menschen in Salzburger Tracht oder Bauern in Haft, deren Geschichte comicähnlich erzählt wurde.

Mit diesen faszinierenden Drucken beginnt die Sommerausstellung des Salzburger Museums der Moderne. Das Thema ist weit gefasst: Welche Rollen spielen Museen und Künstler in der Geschichtsschreibung, wer erzählt wessen Geschichte wie? 37 Künstler aus 19 Ländern mit 230 Werken, darunter ein großer Teil aus der eigenen Sammlung, zeigen auf dem Mönchsberg und im Rupertinum die Welt unter dem Motto „Neuer Krieg Neue Kunst“ – wie es Jörg Immendorff und Felix Droese 1974 plakativ auf ein Bild schrieben.

Gräueltaten im Namen der Religion

Es sind nicht irgendwelche Geschichten, die hier zusammenkommen, sondern Konflikte und Kriege: die Protestantenvertreibung, Otto Dix' „Der Krieg“ von 1924, Ernst Haas' und Gerti Deutschs Fotografien nach 1945, Martha Roslers Collagen zum Vietnamkrieg, Lothar Baumgartens Diaschau zur kolonialistischen Aneignung fremder Kulturen in Völkerkundemuseen, Chen Shaoxiongs animierte Tuschezeichnungen zur Geschichte Mao Tse Tungs in China, Wael Shawkys Video, in dem mit Marionetten die Kreuzzüge aus arabischer Sicht aufgeführt sind: Immer wieder kommen die Gräueltaten, die im Namen der Religion verübt worden sind, ins Bild. Mit jedem Schritt werden wir an die Mord- und Kampflust der Menschen erinnert, Dokumentationen wechseln ab mit Metaphern wie Anselm Kiefers „Lasst 1000 Blumen blühen“: vertrocknete Rosen auf vertrocknetem Lehm, ein intensives Bild für verlorene Hoffnung.

Zu den spannendsten Beiträgen gehört „Das Silber und das Kreuz“, ein Videoessay des soeben verstorbenen Harun Farocki (siehe Seite 24): Er führt uns anhand eines detailreichen historischen Gemäldes aus dem Jahr 1758 zum kolonialen Silberabbau nach Bolivien. Im Berg Cerro Rico, 4100 Meter über dem Meeresspiegel, bauten Zwangsarbeiter die wertvollste Beute der spanischen Eroberer ab. Acht Millionen starben in den Minen. Farocki sucht 17 Minuten lang in dem Bild Details zu den Arbeitern, die nur als schwarze Striche angedeutet sind, während man Straßen, Markt und Bewässerungssystem klar erkennen kann. Von all dem Leid berichtet das Gemälde nichts.

Das ist der größte Unterschied zwischen den älteren und den zeitgenössischen Kunstwerken in der Ausstellung: Die Künstler heute zielen mitten in die Probleme hinein. Es sind keine Auftragswerke von Herrschenden, sondern „selbstbestimmte Formen der Reflexion“, so MDM-Direktorin Sabine Breitwieser. Die Kunst heute sucht die Konfrontation mit Unrecht, führt uns historische Wunden vor Augen. Gebannt sitzt man vor Kader Attias Projektion, in der er die Sammlung von ethnologischen Artefakten im Vatikan ins Licht rückt. „Enteignung“ nennt er sein Werk und betont, wie sehr Missionierung und Plünderungen zusammenhingen. Auch hier führt uns die Ausstellung wieder nach Salzburg, ins Missionshaus Maria Sorg: Außergewöhnliche Artefakte verlieren ihre Bedeutung in der „Anhäufung dieses Kuriositätenkabinetts“ (Attia). In einem Interview kommt auch zur Sprache, wie schuldig sich Auktionshäuser bis heute dabei machen, wenn einst heilige Objekte versteigert werden.

Stunden möchte man in dieser großartigen Ausstellung verbringen, die uns auch immer wieder darauf zurückwirft, in welcher krisenhaften Situation wir gerade leben. Viele der angesprochenen und Themen sind bis heute aktuell, etwa religiös motivierte Vertreibung, koloniale Ausbeutung oder die Frage der Rechtmäßigkeit ethnologischer Sammlungen. Vor allem rüttelt nahezu jeder Beitrag an Fragen unserer individuellen Verantwortung. Wenn Breitwieser nach der Rolle des Museums heute fragt, dann zeigt sie uns mit „Kunst Geschichten“ auch eine Antwort: Hier wird Geschichte subjektiviert, emotional und anschaulich gemacht. Museen sind weniger ein Hort von Meisterwerken als ein Ort wider das Vergessen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2014)

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