Leopold-Museum: So wurde er zu Giacometti

Dokumentation Ausstellung ´Alberto Giacometti´
Dokumentation Ausstellung ´Alberto Giacometti´(c) Leopold Museum/APA-Fotoservice/B (Nadine Bargad)
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Lange probierte sich Alberto Giacometti in verschiedenen Stilen aus. Eine 150 Exponate umfassende Ausstellung zeigt, mit welch wechselhaftem Erfolg.

Nein, so kennen wir ihn nicht, unseren Giacometti: expressiv-heitere Gemälde, für die der 1901 im italienisch-schweizerischen Borgonovo bei Stampa geborene Maler voll in die Farbtöpfe gegriffen hat. Schwere, blockartige Skulpturen, entstanden in jener Zeit, als er sich in Paris von Picasso und Juan Gris inspirieren ließ und mit dem Kubismus liebäugelte. Dann surreale Experimente, die Albtraumhaftes und unterdrücktes Sexuelles verarbeiteten – und sich dazwischen einen Spaß erlaubten. Und schließlich erste Versuche in jener speziellen Art der unwirklichen Gegenständlichkeit, für die Giacometti später berühmt werden sollte, die er aber in den Dreißigerjahren noch nicht ausformen konnte. Bis er der Giacometti der hohen Gestalten sein wird, wird es noch eine 15 Jahre währende Schaffenskrise brauchen.

Nur weniges aus dem Spätwerk

Die in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich bestückte Schau im Wiener Leopold-Museum zeigt rund 150 Exponate, 87 von Giacometti selbst, und zwar mehr Bilder als Skulpturen – und von den Skulpturen stammt nur ein Bruchteil aus dem berühmten Spätwerk. Das ist betrüblich, einerseits. Andererseits beleuchtet die Schau so das Umfeld des Malers, ordnet seine verschiedenen Phasen ein. Und räumt mit dem Mythos vom genialischen Künstler auf, der allem, was er anpackt, quasi automatisch seinen Stempel aufdrückt. Stattdessen zeigt sie einen Forschenden. Er probiert aus, geht Umwege, übernimmt Stile und erzielt dabei zum Teil gar nicht so besonders überzeugende Ergebnisse. Die Gemälde etwa, die unter dem Einfluss seines Maler-Vaters entstanden, dessen Werke hier auch zu sehen sind: seltsam spannungslos. Die frühen kubistischen Arbeiten: Zumindest im Leopold-Museum sieht man eher kunstvolle Fingerübungen mit Quadern, Würfeln und Kugeln, die von einem dem Kubismus eigentlich widersprechenden Desinteresse am Raum zu zeugen scheinen, das umso seltsamer ist, als der Raum eines der wesentlichen Themen Giacomettis werden sollte.

Dazwischen immer wieder surrealistische Experimente, darunter welche, die auch komisch sind: „Gefährdete Hand“ aus dem Jahr 1932 zeigt einen Holzarm und eine Konstruktion mit Keilriemen und Rädern. Wenn man genau hinschaut, sieht man: Die Gefahr existiert gar nicht, die Räder können der Hand gar nicht nahe kommen. Eine andere Skulptur – eine Art Kissen mit mehreren Hörnern – heißt: „Unangenehmes Ding, zum (Weg)Werfen“ (1931).

Die Wende kam nach dem Bruch mit André Breton, dem theoretischen Kopf der Surrealisten (der wie so viele theoretische Köpfe selbst als Künstler eher schwach war). Breton stieß sich an Giacomettis Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die Surrealisten seiner Ansicht nach nicht zu interessieren hatte – und schloss ihn aus der Surrealisten-Gruppe aus. Der nächste Schritt für Alberto Giacometti waren Figurinchen, zum Teil aus Holz, zum Teil aus Bronze. Mit ihnen stellte der Künstler, der in Paris über Jahrzehnte hinweg bis zu seinem Tod in einem winzig kleinen Atelier arbeitete, alles Mögliche an: Er verkleinerte sie, bis sie so groß waren wie ein Daumennagel. Er stellte sie auf vergleichsweise riesige Sockel, zehnmal so groß wie die Figur selbst. Er reihte sie aneinander. Er spannte sie in Käfige ein. Hier sieht man, wie Giacometti mit dem Thema Raum rang. Und wie seine Figuren begannen, sich zu befreien, aus den Käfigen, von ihren Sockeln, die immer schmäler wurden und leichter, während die Figuren selbst Richtung Himmel strebten. Besonders anrührend und entrückend in dieser Ausstellung: eine Version der Figur auf einem hohen Wagen, die in eine andere, spirituellere Zeit deutet; in eine Zeit, als ein Toter noch einen Fährmann brauchte, der ihn ins Jenseits geleitet – oder wie im Fall dieser Skulptur einen Fuhrmann.

Die Kathedrale der Bronze-Arbeiten

Die Spiritualität von Giacomettis Spätwerk, erklärte Direktor Franz Smola bei der Pressekonferenz, habe man betonen wollen – und darum einen Raum der Ausstellung so gestaltet, dass er dem Inneren einer Kathedrale gleiche: Mit Wänden, die golden-bronzen glänzen wie die Mosaiken im Markusdom in Venedig. In dem Raum stehen fünf dieser großen, ätherisch schmalen Figuren. Darunter ist ein Schreitender (der aktive Mann). Und drei riesige Frauen, die seltsame Gegenstücke zur Venus von Willendorf abgeben. Gut drei Meter hoch statt elf Zentimeter klein, schmal statt breit, üppig statt fast entsexualisiert. Und doch entwerfen der Künstler aus der Altsteinzeit und der Künstler aus dem 20.Jahrhundert ein ähnlich ikonisches Bild der Frau.

Insofern ist die Idee mit der Kathedrale fast aufgegangen. Fast, denn da ist noch dieser Krach, dieser ohrenbetäubende Krach von der Vorführung eines Films über Alberto Giacometti im Raum nebenan.

„Psst“, möchte man da sagen. Wir sind in einem Museum.

„Alberto Giacometti. Pionier der Moderne“. Leopold-Museum. Bis 26.Jänner 2015. www.leopoldmuseum.org.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2014)

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