Kritik Ausstellung: Schultheater und Safer Sex

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„Brutal Beauty“ in der Kunsthalle fügt sich etwas leblos ins Revival des bedeutenden britischen Regisseurs und Malers Derek Jarman.

Ein internationales Revival zum Briten Derek Jarman ist heuer im Gange: Filmretrospektiven von Portland bis Seoul erinnern an die bekannteste Seite des Künstlers. Als unabhängiger, dezidiert schwuler Regisseur prägte er das Kunstkino – nicht nur Englands – in den Punk- wie Thatcher-Jahren.

Jarmans Spezialität waren eigenwillig stilisierte, ästhetisch avancierte und provokative Fusionen von historischen Stoffen und aktuellen Anliegen: Mit aufmüpfigen Anachronismen durchsetzte Filme wie die unkonventionelle Malerbiografie Caravaggio(1986) oder die Marlowe-Interpretation Edward II. (1991) gingen um die Welt.

Aber Jarman war vielseitiger: Zum Kino kam er (vom Theater) als Ausstatter, gestaltete Kulissen für ein anderes echt englisches Enfant terrible, Ken Russell, etwa im hysterischen Hexenjagd-Film The Devils (1971). Andere wesentliche Teile von Jarmans Werk sind seine Bücher sowie der der komplizierte Garten seines Prospect Cottage in Kent.

Doch er selbst sah sich immer zuerst als Maler: Entsprechender Umgang mit Lichtsetzung und Bilddetails prägte sein Konzept eines „Kinos der kleinen Gesten“, das sich am stärksten in privaten, experimentellen Traumspielen wie The Angelic Conversation(1985) niederschlug, wo Jarman seine alten Super-8-Filme weiterverarbeitete.

Die verschiedenen Stränge seines Schaffens kommen in der Ausstellung „Brutal Beauty“ zusammen, die über Wien nach Zürich tourt. Vorgestellt wurde sie im Frühjahr in der Serpentine Gallery in London – wo schon im Jänner ein „Jarman Award“ für risikofreudige Künstler-Filmemacher vorgestellt wurde. Ebenfalls seit Jahresbeginn tourt die Jarman-Dokumentation Derek erfolgreich durch Festivals: Inszeniert hat sie Isaac Julien, Kurator von „Brutal Beauty“.

Oscar-Aktrice Tilda Swinton erzählt

Seinen Dokumentarfilm hat Julien der Ausstellung vorangestellt: Eine Sitzsack-Kammer lädt zum Verweilen beim konventionellen, leidlich brauchbaren Porträt: Immerhin zeigt sich Jarman in vielen Interviews als charismatischer Gesprächspartner, und seine langjährige Muse, die nunmehr Oscar-gekrönte Schauspielerin Tilda Swinton, beteiligte sich nicht nur als Erzählerin. Swinton bekennt, wie sie „das Chaos“ und „die Vulgarität“ von Jarman im Kino vermisst.

Jarmans radikalere Gesten – und sein verstärktes politisches Engagement, nachdem er 1986 erfuhr, dass er an AIDS erkrankt war – wirken fern angesichts einer glattgebügelten Filmkultur, wo auch schwules Kino (Nischen-)Formeln folgt. Als Jarman 1994 im Alter von 52 Jahren starb, war das sichtlich von ihm beeinflusste New Queer Cinemaum Regisseure wie Todd Haynes in aller Munde, das ist lang zersplittert. Haynes ist immerhin seinen Ideenwelten und in gewisser Weise dem Erbe treu geblieben, aber inszeniert heute Hollywood-Experimente wie den kaleidoskopischen Dylan-Film I'm Not There: Für den von Swinton beschworenen anarchischen „Schultheater-Hauch“ von Jarmans Filmkunst ist da kein Platz mehr.

Aber so wie Juliens Ausstellung konzipiert ist, ist sie wenig geeignet, wieder ungebärdiges Leben in die Jarman-Rezeption zu bringen: Eher wird dessen schöpferisches Tun eingeglast (wie Juliens eigentlich hübsche begleitenden Stilleben von Jarmans Garten) und beschlagwortet – es passt, dass sich der Ton des Derek-Films dominierend übers zweite Zimmer legt, wo auf zehn Monitoren frühe Super-8-Filme Jarmans stumm in Endlosschleifen nebeneinander laufen. Als Blickarrangement führen sie schlagend unterschiedliche Vorbilder vor Augen – von Warhol zum Wizard of Oz, von den rituellen Farbenspielen Kenneth Angers zur Camp-Selbstdarstellung von Ken Jacobs –, aber eben nur buchstäblich en passant.

Nur ein zorniges, schwarzes Bild im Eck hebt sich ab: „Fuck Me Blind“ hat der zuletzt erblindende Jarman eingeritzt,vom Kino hatte er sich da schon verabschiedet – mit Blue (1994), einer poetischen Toncollage zu Yves-Klein-blauer Kinoleinwand, hier im hintersten Raum von Blu-Ray-Disc projiziert. Säuseln umfängt also auch die Kunstobjekte im vorletzten Zimmer: Teer-und-Feder-Bettgemälde kombinieren Literatur (Plato über Knabenliebe) und Penisbilder, interessant eher als Ausdruck der Protestkultur ihrer Zeit denn als Kunst. Wie auch kleinere Arbeiten, auf denen sich etwa „Safe Sex“ und „Victorian Values“ treffen: Eine Erinnerung, dass Jarmans Modernismus nie ohne etwas Nostalgie für Old England auskam. Ergiebigeres Material als die Ausstellung bietet so ein parallel erschienenes Buch von Martin Frey: „Derek Jarman. Bewegte Bilder eines Malers.“

„Derek Jarman. Brutal Beauty“: Kunsthalle, Museumsplatz 1, tgl. 10–19, Do 10–22 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2008)

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