Gute Kunst? Ein bisserl narrisch, aber furios

(c) Konzett
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Was ist gute Kunst? Die Antwort ist heute schwieriger denn je. „Die Presse“ befragte Experten zu einem Fallbeispiel.

Abstrakt gut, gegenständlich böse, politisch versus dekorativ, die Aktion zertrümmert das Bild: Früher schien es einfacher, über bildende Kunst scharfe Urteile zu fällen. Aber seit alles schon einmal da war und alles wieder möglich ist, ist die Zeit der „Kritiker-Päpste“ vorbei. Was ein Gutes hat – wer will schon noch Geschmacksdiktatur? – und ein Schlechtes: frustrierende Verunsicherung. Trotzdem reden alle lauthals mit über zeitgenössische Kunst, glaubt jeder zu wissen, was gut ist, was schlecht. So haben sich eigenartige Parallelwelten entwickelt, in denen verschiedene Haltungen, Stile und Genres, vom Blumenaquarell über expressive Großmalerei, von Moderne-Reflexion zur Spektakelkunst, unbeeindruckt nebeneinander gefeiert werden. Warum soll es in der Kunst auch anders sein als anderswo: Wir werden immer individueller. Und der Markt, der unsere Ego-Trips bedient, immer stärker.

Die „Presse“ bittet hier bereits zum dritten Mal Experten um ein Urteil über einen jungen Künstler, diesmal Christian Eisenberger. Um die unterschiedlichen Zugänge zur Kunst zu zeigen. Vor allem aber, um Lust auf Auseinandersetzung mit der Kunst unserer Zeit zu machen.

Stella Rollig, Direktorin
Kunstmuseum Lentos, Linz

„Während einiger Jahre vor der letzten Jahrtausendwende sah es so aus, als ob die Tage des Künstlers gezählt wären. Man war Forscher, Aktivist, übte aus, was Walter Benjamin die ,organisierende Funktion‘ eines ,Autors als Produzent‘ genannt hat, als Cultural Worker. Jetzt ist er wieder da, der Künstler. Erstes Merkmal: Er ist obsessiv. Ein bissl narrisch. So wird über Christian Eisenberger berichtet: Im heimatlichen Semriach hinterlässt er merkwürdige Spuren im Wald und verwirrt die Bauern. In einer Grazer Kirche lebte er 40 Tage lang als Eremit, auf der Wiener Kunstmesse hockte er auf einem acht Meter hohen Turm aus Pappkarton. Was er mache, sagt er, entstehe ,aus einer Notwendigkeit heraus‘. Ein Getriebener also.

Wir betreten die Installation in der Galerie Konzett, die sich laut Pressetext der ,wirklich großen Themen‘ annimmt (,Zeugung, Herz und Hauptschlagader, Schwangerschaft‘). Vorsicht, nicht im Klebeband verstricken. Oh Schreck, sind das wirklich zerdrückte Schnecken? Ja. Eisenbergers Materialien sind die ,armen‘: Holz, Klopapier, Draht, Rasierschaum. Karton und viel Klebeband, weshalb die Assoziation zu Thomas Hirschhorn naheliegt. Zumindest formale Verwandtschaftsverhältnisse findet man auch zu Dieter Roth, Christoph Schlingensief, John Bock. Es ist eine sehr männliche Kunst der hemmungslosen Raumbesetzung (wie um Gender-Bewusstsein zu demonstrieren, hat Eisenberger zwei Künstlerinnen zum Mitausstellen eingeladen). Doch Raum so kraftvoll vereinnahmen, das muss man erst einmal können. Eisenberger hat sicheres Formgefühl, die Gesamtinszenierung stimmt, und die Einzelobjekte sind tadellose Skulpturen. Ihr Witz bewahrt sie (meistens) vor dem Pathos des enigmatischen Kunstobjekts. Mein Lieblingsstück, eh klar, ist das ,Museum 2002‘. Als pädagogisch wertvolles Spielzeug jedem Sammlerkind eindeutig mehr zu empfehlen als der Kaufmannsladen!“

Ingried Brugger,
Leiterin Bank-Austria
Kunstforum, Wien

„Ich gestehe: Ich tue mir schwer! Die Eindrücke von Eisenbergers Ausstellung sind vielfältig, vermischen sich heftig mit diversen Erfahrungen aus meinem Leben als kunstinteressierte Person. Einmal fühle ich mich an das (dort bewusst inszenierte) Tohuwabohu des Art-brut-Museum in Lausanne erinnert, dann natürlich an die Tradition der Gerümpelkunst, dann wieder an Dieter Roths visionäre Rauminstallationen – ohne aber dass sich das alles irgendwie auf die Eisenberger-Show umlegen ließe, auf einen von gestalteten Dingfragmenten überberstenden Raum, in dem nichts für sich stehen kann und alles mit keinem zu keinem für mich bemerkenswerten Statement führt.

Irgendwann lässt sich natürlich trotzdem Eisenbergers Erzählung vom Werden und Vergehen, vom ewigen Kreislauf des Lebens folgen, irgendwann erkennt man, dass die Arbeiten der beiden Künstlerinnen (Amina Broggi und Barbara Husar), die Eisenberger mit in die Installation genommen hat, Bezug auf das nehmen, was uns der federführende Künstler selbst zu sagen versucht. Aber hier sind mir die Inhalte zu dehnbar und gleichzeitig zu zentriert auf die Psyche des Künstlers, ist mir die künstlerische Umsetzung zu vage und flüchtig, wachsen ihr viel zu viele wilde Triebe, vermisse ich allzu sehr ein reflexives Wechselspiel von Idee und künstlerischer Umsetzung, als dass ich diese Ausstellung wirklich zufrieden verlassen hätte können.“


Stephan Schmidt-Wulffen, Rektor der Akademie der
bildenden Künste, Wien

„Was passiert, wenn man einen Ferrari gegen die Wand fährt? Eisenberger ist ein schneller Künstler, so schnell, dass seine besten Werke nur Spuren waren. Aktionisten und Performer gehören zu seinen Ahnen. Seine Skulpturen wirken immer improvisiert, schnell hingestellt. (War der Papp-Bolide im öffentlichen Parkraum nicht großartig?) Und dann kommt der Kunstmarkt! Wie jetzt wieder die Galerie Konzett in Wien. In der Galerie wirkt ,schnell‘ prätentiös. Das Publikum lernt, dass der spontane Einfall doch zu einem Repertoire gehört. Der Autor kommt ins Visier und man will wissen, worum es ihm eigentlich geht. Eisenbergers Ausstellung ist wie immer von großer formaler Sicherheit, vor allem die zentrale Installation, in der einer der bekannten Kokons als Ikarus plötzlich die Flügel ausbreitet. Mir hat auch ein Miniaturmuseum gefallen, wo man lernt, welche Künstler und Künstlerinnen für Eisenberger zählen.

Aber schon lässt die Geschwindigkeit nach, und es entstehen Werke, die aus einem lauen Witz mühevoll Kapital zu schlagen versuchen. Etwa drei Malregale, preislich und vom Format unterschiedlich dimensioniert: Stellagen aus Wasserwaagen mit eingehängten Leinwänden, über die der Farbmatsch läuft. Da haben wir schon mal besser gelacht! Eisenberger überspielt sein Problem durch Akkumulation. Die Objekte, die man in diesem turbulenten Raum erst nach und nach ausmacht, reichen bis 1999 zurück. Außerdem hat er Amina Broggi und die interessante Zeichnerin Barbara Husar eingeladen. Das lenkt ein bisschen ab, und doch sollte man es aussprechen: Das Problem Ferrari und Wand ist zu klären! Wahrscheinlich, indem man Inhalte etwas ernster nimmt und das eigene Können punktgenauer einsetzt.“

Thomas Zaunschirm,
Kunsthistoriker

„Der Eisenberger ist ein ,wilder Hund‘. Sein ,Papamobil‘ und sein ,Formel-I-Rennwagen‘ sind in ihrer Seifenkisten-Ästhetik der komplette Schrott – aber formal irgendwie gelungen. An Kartons und Klebestreifen ist man seit Thomas Hirschhorns Papparchitekturen der 80er-Jahre gewöhnt. Im Gegensatz zu den Materialien der ,arte povera' haben diese Rohstoffe keinen besonderen Charme. Es gibt aber Künstler, deren Kreativität total ist, die in den Müll greifen können, und schon entsteht etwas Neues. Dazu gehört der mit einer furiosen, wilden Fantasie ausgestattete Christian Eisenberger. Wenn man von den etwa auf der Kunstmesse ,Viennafair‘ 2008 abgesonderten mumienartigen Kokons seines Körpers absieht, ist der Wiedererkennungswert nicht sehr ausgeprägt. Dafür beschenkt er uns mit Überraschungen, die sich keinem bestimmten Konzept und dessen konsequenter Verfolgung verdanken, sondern einer wuchernden Vernetzung.

Im Zentrum steht dabei oft der Regisseur als Clown, der im Extremfall mit quasiterroristischem Feuerwerksgürtel das Publikum zu verstören sucht. Die eigene Identität ist ihm offenbar so egal oder multipel, dass er in der Konzett-Galerie Wien zwei gerade passend erscheinende Künstlerinnen (Amina Broggi, Barbara Husar) zu einem Teamwork eingeladen hat. Der Typ ist ziemlich schräg, so wie seine als Malmaschine dienende Leinwandkaskade. Und doch funktioniert auch dieser Einfall. Der homo ludens Eisenberger versteht die Umwelt als potenziellen Synapsendschungel, in dem jede ästhetische Spekulation sinnlos ist, weil wie im Gehirn durch die Synchronizität vieler Ereignisse und Gestaltungen ein eigentümlicher künstlerischer Komplex entsteht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2008)

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