Teach me Hundertwasser!

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Bazon Brock erklärt, was wir an Hundertwasser, der Montag 80 wäre, falsch verstehen. Dessen Polemik gegen EU und Moderne ist heute wieder aktuell.

Unsere „heilige Scheiße“ wieder lieben zu lernen, das ist uns, den im Plastic-Surgery-Centennium noch halbwegs Widerständigen, seit Charlotte Roches „Feuchtgebieten“ zumindest wieder denkmöglich gemacht worden. Obwohl der bakteriophilen Revolutionärin eine „Humustoilette“ wohl genauso fernlag wie Hundertwasser eine „Arschrasur“, mit der bei Roche ihr ganz privates Post-68er-Hygienepsychodrama überhaupt erst beginnt. Es hat also natürlich seine Haken zu behaupten, Hundertwasser sei heute immer noch aktuell, eins zu eins. Seine überlieferten Schriften bereiten einem ein Wechselbad der Gefühle. Seine Reden gegen die EU (dadurch wird Österreich wieder eine „Ostmark“!), gegen die zeitgenössische Kunst („entartet“!) sind in der harten Druckform starker Tobak für Spätgeborene.

Aber kann man Österreichs immer noch populärsten Künstler wirklich als eitlen, naiven, im eigenen Klischee festgefahrenen Öko-Gecken mit schwer aushaltbarem missionarischen Eifer und beinhartem Geschmacksdiktat (Spirale!) abtun? Nein! Sagt Bazon Brock. Der deutsche Kulturvermittler und Action-Teacher, der mit Hundertwasser gemeinsam arbeitete, und der gerade im Rahmen des Symposiums zu dessen 80. Geburtstag am Montag in Wien weilte, stellte sich stellvertretend für den 2000 Verstorbenen einigen Vor- und Fehlurteilen.

Hundertwasser war ein bedeutender Maler. Bazon Brock: Hört endlich auf, Hundertwasser als großen Künstler an der Wand anzubeten! Sondern seht, was er wirklich gemacht hat! Seine Bilder sind keine Kunst-, sondern Werkzeuge. Ab 1960 ist Hundertwasser vom Prinzip des Werkschaffens auf das Prinzip der Wirkung umgestiegen.

Wie ist das zu verstehen?

Brock: Albrecht Dürer hat sich 1534/5 in drei Fassungen als Christus dargestellt. Was bedeutet das für einen Künstler wie Dürer? Den Übergang von der Imitatio Dei, also von der künstlerischen Imitation der Schöpferkraft Gottes, auf die Imitatio Christi, also das Prinzip Wirkung. Christus hat in seinem Leben nie irgendein Werk geschaffen, keine Stadtmauer aufgerichtet, keine Siedlung gegründet, kein Artefakt hinterlassen – er hat gewirkt. Ohne Werk. Dürer war dann auch der Erste, der Erziehungsprogramme geschrieben hat, der sich darum kümmerte, das Volk selber anzusprechen, selber auf die Märkte gezogen ist und seine Stiche verkauft hat – aber im Sinne eines Erkenntniswerkzeugs, denn er wollte die Durchsetzung des protestantischen Glaubens befördern. Dürer war der Gründer der Konzeptkunst.

Deshalb misstrauen wir katholischen Österreicher also der Konzeptkunst. Und wie bezieht sich das auf Hundertwasser?

Brock: Die Figur des merkwürdigen Heiligen, des Wüstenbewohners, des Wanderpredigers, des Meditierenden in der Wüste, das sind alles Attitüden, die in die Imitatio Christi, also in die Wirkungsgeschichte gehören. Und als solche hat Hundertwasser eine unvergleichliche Position, er hat Mittel, Werkzeuge der Erkenntnis, entwickelt, die zu einem veränderten ökologischen, lebensreformerischen, ökonomischen Bewusstsein führen. In der Imitatio Christi gibt es nur einen, der Hundertwasser gewachsen ist, nämlich Beuys.

Ist es dann überhaupt richtig, das Hundertwassermuseum „Kunsthaus“ zu nennen?

Brock: Nein, man sollte es „Kulthaus“ nennen. Oder „Institution für die Förderung zur Liebe zur Polemik“. Oder „Ausbildungsstätte für die Entfaltung von Wirkung auf andere Menschen“.

Hundertwasser war anti-intellektuell.

Brock: Er war ein Intellektueller und Polemiker, und als solcher sollte er ernst genommen werden. In dieser Gesellschaft gibt es überhaupt keine Möglichkeit mehr, Polemik zu äußern. Das wird sofort abgetan. Obwohl das die griechische Urtugend ist, auch Sokrates war nichts anderes als ein Polemiker.

Hundertwasser war kitschig und konservativ.

Brock: Das war das typische Mobbing-Argument, die Leute wollten gar nicht darauf eingehen, was er sagte, sondern ihm nur sagen – du bist ein Kitschier, kein Avantgardekünstler. Und diese Leute wollen gegen Neoliberalismus sein? Genau diese Haltung – das ist ja nur Kitsch – das ist Neoliberalismus. Die ganze Kunstszene ist nichts anderes als ein neoliberalistischer Klub zur wechselseitigen Förderung des Marktwerts.

Ist die Behübschung einer Müllverbrennungsanlage nicht ein Verrat an der ökologischen Sache?

Brock: Das ist ganz rational gedacht. Wenn wir die Chance nutzen, die wir als westliche Industriegesellschaft entwickelt haben, zum Beispiel in der Wirkung unserer Handlungen auf die Welt, deren höchster Ausdruck die Radioaktivität ist, dann erzeugt die Fürsorge für die Bannung der Gefahr einen Müllkult, die Verehrung des strahlenden Mülls. Durch seine Sicherung entsteht Verbindlichkeit – und die ist fünfmal höher als die jeder Kultur. Die Christen haben 2000 Jahre Verbindlichkeit durch Jesus Christus, die Juden haben 3800 Jahre Altes Testament, die Chinesen 3000 Jahre, Ägypten 3000 – was ist das schon gegen 15.000 Jahre Halbwertszeit! Der Müll stiftet uns eine Ewigkeitsorientierung durch den Zwang der Versorgung, damit er nicht gegen uns antritt.

AUF EINEN BLICK: BROCK, HUNDERTWASSER, AUSSTELLUNG

Bazon Brock lehrte u.a. Ästhetik, Kulturvermittlung an der Uni Wuppertal. In den 60ern entwickelte er sein „Action Teaching“, er arbeitete u.a. mit Hundertwasser, Beuys.

Friedrich Stowasser (1928–2000), auch Tausendsassa Friedensreich Regentag Dunkelbunt Hundertwasser, wäre am Montag 80 Jahre alt geworden.

Das „Kunst Haus Wien“ zeigt bis 15.März „Der unbekannte Hundertwasser“. Untere Weißgerberstraße 13, Wien 3. Tägl. 10–19h. [Neue Galerie Graz]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2008)

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