Gerhard Richter: Der Maler des letzten Augenblicks

(c) AP (Lilli Strauss)
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Eine große Retrospektive stellt Wien jemanden vor, den es schon lang nicht mehr gesehen hat – Gerhard Richter, deutscher Maler, und zwar der wichtigste.

Das schönste Bild kommt ganz am Schluss, es wäre fast kitschig, könnte man den Schleier zerreißen, hinter dem es schimmert: Wie durch einen Weichzeichner sieht man auf das Motiv, prächtige rote Blumen, die in einer Vase auf einer Fensterbank stehen, die Stängel geknickt, das Welken absehbar. So schön kann Sterben sein – und so unbeachtet. Gerade im Vergehen begriffen, aber einmal noch festgehalten, für einen Augenblick nur – das ist der Zauber von Gerhard Richter, der als erfolgreichster Maler der Gegenwart gilt.

Und in Wien sträflich wenig bekannt ist – die letzte größere Richter-Ausstellung fand vor über 20 Jahren im 20er Haus statt. Dementsprechend behutsam, fast poetisch führt die 153 Werke umfassende Retrospektive der Albertina in sein Werk ein. Das begann, als Richter 1961 von Dresden nach Düsseldorf floh. Aus seiner DDR-Zeit sind nur wenige Bilder erhalten, die Richter auch nicht sehr schätzt. In Wien sind sie durch eine unaufregende Serie abstrakter Monotypien von 1957 repräsentiert, die noch nie öffentlich gezeigt wurden. Aber das ist nebensächlich.

Wie von vier Malern, nicht von einem

Wesentlich ist der Eindruck, sich durch eine Gruppenausstellung mit mindestens vier Künstlern zu bewegen. Denn Richter ist nicht zu fassen. „Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung, ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen“, sagt er. Alles bleibt ambivalent bei ihm, offen für Deutungen, für die Meinungen der Betrachter: die fotorealistischen Bilder, immer irritierend verschwommen – die dekadente Schickeria auf dem Motorboot, schwebende Kampfjets, zwei Autos im Geschwindigkeitsrausch. Die „abstrakten Bilder“ gewaltig bunt, aus bis zu 30 Schichten bestehend, die durch eine spezielle Technik mit der Spatel wieder porös, durchscheinend werden, eine Art Palimpsestleinwand bilden und so von Zeit, von einer Geschichte erzählen.

Hier wie dort scheint Richter uns die Bilder entziehen zu wollen, die uns täglich überfluten, uns durch Unschärfe, Überlagerungen wieder zum Hinsehen zwingen. Als monochromer Maler bleibt er dann am blassesten. Und als Computerkünstler am distanziertesten. Höhepunkt dieser Schiene sind die neuen Fenster des Kölner Doms, für deren Raster er die Farben automatisch durcheinanderwürfeln ließ. Eine Installation in der Ausstellung aus 18 Farbtafeln von 1966/1992 erinnert frappant an Gerwald Rockenschaub. Wie man überhaupt Bücher damit füllen könnte, wie Richter die Kunst seit den 60er-Jahren beeinflusst hat. Er ist einer der wenigen, wo Kunsthistoriker sich mit den Toplisten des Kunstmarkts arrangieren können – Richter ist Nummer eins.

Nicht mit jedem Bild, ist in der Albertina zu sehen – das beruhigt dann doch. Auch bei Richter gibt es Werke des Übergangs, des Experiments, die Schlingenbilder etwa, das etwas sehr grobe Porträt einer trinkenden Frau, fast Op-Art – aus der Nähe betrachtet, löst es sich völlig auf in scheinbar zusammenhanglose, dicke Striche. Die Melancholie des glücklosen Festhaltens. Memento mori. Das dürfen wir hier nirgends vergessen. Ob das nun Motive aus Medienfotos betrifft, die Richter als Vorlage seit 40 Jahren in seinem „Atlas“-Archiv hortet, das Blumenstilleben aus seinem Atelier, abstrakte Farbexplosionen, Familienporträts. Oder seine Aquarelle und praktisch unbekannten Zeichnungen.

Hier wird die Albertina-Ausstellung unverwechselbar. Denn es wurde ein Großteil der Gemälde übernommen aus einer Ausstellung im Privatmuseum von Richters größtem Sammler, Frieder Burda in Baden-Baden. Kuratorin Barbara Steffen und Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder ergänzten dieses Konvolut um Papierarbeiten. Nicht, dass man Richter dadurch als einen seiner Malerei ebenbürtigen Zeichner entdecken könnte – die Aquarelle stellen eher spielerische Variationen der abstrakten Ölbilder dar. Die Zeichnungen aber führen in Richters Labor, wirken teils wie Ultraschallbilder seiner Gemälde, weisen auf Wesentliches hin, das bei den Großformaten erst im Detail erkenntlich wird. Das Dada-Element etwa, die Écriture automatique etwa. 1966 etwa steckte Richter einen Bleistift in eine Bohrmaschine und ließ sie über das Blatt kreisen oder stellte 1989 in fast Kubin'scher Manier zwei Weingläser in eine dunkle Kammer. Eine Ausstellung zum genießen und tiefer sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2009)

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