Junge Kunst bei Sotheby's

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Viermal im Jahr eröffnet Sotheby's in Wien seine Räume für die Ausstellung »Artist Quarterly«. Da dürfen junge Künstler dann »machen, was sie wollen«.

Ich betreibe keine Galerie!“ Auf diese Unterscheidung legt Andrea Jungmann großen Wert. Schließlich ist sie Geschäftsführerin von Sotheby's. Bereits 1981 wurde die Zweigniederlassung des britischen Auktionshauses in Wien eröffnet, die heute im Palais Wilczek in der Herrengasse residiert. Dort werden Expertentage abgehalten und Kunden betreut, zudem wird über die Auktionen informiert, die allerdings nicht an der Donau, sondern in New York, London, Paris, Genf und Hongkong stattfinden.

Aber Jungmann belässt es in Wien nicht bei einer Anlaufstelle für Kunden. Viermal im Jahr eröffnen hier unter dem Titel „Sotheby's Artist Quarterly“ Ausstellungen von jungen Künstlern – und da beginnt die Wiener Filiale, den Kernbereich eines Auktionshauses zu verlassen. Seit 2001 veranstaltet Jungmann diese Reihe, die sie als ihr Steckenpferd bezeichnet: „Junge Künstler haben oft Probleme, eine Ausstellung zu bekommen. Wir haben hier im Palais Wilczek diese schönen Räume, wo wir aus versicherungstechnischen Gründen ohnehin keine Rembrandts und Rubens aufhängen können.“ Kriterien ihrer Auswahl sind das Alter der Künstler (unter 40 Jahre) und der Bezug zu Österreich. Manche gehören zu ihrem Bekanntenkreis, manche werden ihr von Galeristen vorgeschlagen, wenige entdeckt sie an den Akademien, alle aber besucht sie vorher im Atelier.


Blutspritzer und Scherben. „Die Künstler können hier machen, was sie wollen – wir müssen nur noch arbeiten können“, sei ihre einzige Vorgabe. Achtzehnmal fand diese Ausstellung bisher statt. Michael Kienzer war einer der Ersten. Er stellte riesige Stangen quer durch die Räume, auch Esther Stocker, Anna Jermolaeva und Lois Renner zeigten schon früh hier. Valentin Ruhry hängte jüngst einen Kronleuchter unter den Tisch. Das Künstlerinnenduo Catrin Bolt und Marlene Haring ließ sich von dem Auktionshaus zu einer Kriminalgeschichte anregen, verteilte Blutspritzer und Glasscherben im Raum – zur großen Irritation der Besucher, die wiederholt auf die Unordnung hinwiesen. Auch das in Wien lebende Duo Markus Hanakam & Roswitha Schuller – das Jungmann auf der Young Art Auction kennenlernte – entwarf ein eigens für Artist Quarterly entstandenes Werk: „Aura“.

Die beiden lernten sich während des Studiums an der Angewandten kennen und arbeiten seit 2005 zusammen. Ihre Medien sind vor allem Video, Fotografie und Text. Ausgangspunkt ihres Projekts für Artist Quartely sind Auktionskataloge. Einzelne Reprofotografien daraus druckten sie mit Acryltinte auf Kodak Endura auf und bearbeiteten die Vorlagen gezielt. Wir sehen Porzellanfiguren aus dem Rokoko – Waren, die auch bei Sotheby's zur Versteigerung kommen, „hybride Objekte zwischen Kunsthandwerk und Alltagsgegenstand“, wie das Duo es nennt. Objekte, die in den Katalogen als Auktionsware „für den Verkauf ,auratisiert‘ dargestellt werden“. Das Duo überzeichnet diesen Prozess wortwörtlich, indem es farbige „Auraflächen“, amorphe Farbfelder aus farbiger Acryltusche, über die Figuren malt.

Ortsspezifische, junge Kunst – ist das nicht eher ein Programm für Galerien? Artist Quarterly sei ein Förderprojekt, erklärt Jungmann. „Es macht vor allem viel Spaß“, betont sie. Was sagt das Mutterhaus zu dem Projekt? Anfangs habe Sotheby's es kaum wahrgenommen, mittlerweile wird es als „gute Sache“ bewertet, schließlich führen die Häuser in New York, London und Hongkong unter dem Titel S2 ebenfalls Verkaufsausstellungen durch. S2 ist eine „selling exhibition platform“, wo im Juni in London etwa eine „Unautorisierte Retrospektive“ von Banksy stattfand, „kuratiert“ von Banksys ehemaligem Agenten, dessen Zusammenarbeit seit 2009 beendet ist. Zurzeit läuft dort eine Einzelausstellung von Edoarda Emilia Maino, auch Dadamaino genannt, der 1930 bis 2004 in Mailand lebte und in einer dekorativen Mischung aus Op-Art, Lucio Fontana und konkreter Kunst arbeitete.

Ist dieses Format nicht eine Konkurrenz für Galerien? „Wahrscheinlich“, gibt Jungmann zu. Aber Galerien entdecken oft junge Künstler, bauen sie auf, begleiten ihre Karriere über Jahre – das könne ein Auktionshaus nicht. Eben! Das ist viel zu langwierig und kostspielig für einen auf reinen Verkauf ausgerichteten Kunsthandel. Darum ist es ja bedenklich, dass Sekundärmarkthäuser sich die lukrativen Rosinen aus dem Primärmarkt picken und die Kunst direkt im Atelier abholen. „Wir haben einen Kundenstock. Wir haben die Räume. Warum sollten die Häuser diese Möglichkeit für gute Geschäfte herschenken?“, fragt Jungmann. Klingt logisch, macht aber traurig, denn dadurch gerät das traditionelle Galeriesystem zunehmend in Bedrängnis.


Galerien bekommen mehr Konkurrenz. Aber Artist Quarterly ist anders, es sei kein kommerziell ausgerichtetes Geschäft, betont sie. Es stehe nur ein minimales Budget zur Verfügung. Und vor allem: Sotheby's erhält keinen Cent. Kommen denn Auktionskunden zu den Ausstellungen? „Selten, es sind vor allem Freunde der Künstler, manchmal auch Interessierte aus Museen.“ Rutscht Sotheby's damit nicht trotzdem den Galerien immer weiter in das Revier? „Es werfen sich immer mehr Menschen in den Kunsthandel mit Zeitgenossen“, die Konkurrenz komme von vielen Seiten, das Verkaufssystem ändere sich, bestätigt Jungmann. Für Artist Quarterly aber lässt sie den Vorwurf der Konkurrenz nicht gelten: Sie entwickelt eng mit den Künstlern die Ausstellungen, die oft gar nicht kommerziell ausgerichtet sind. Im Gegenteil: Die Jungen schätzen den Freiraum, den sie ihnen einräumt, und experimentieren mit dem Kontext des Palais und des Auktionshauses – was so humorvoll ausfallen kann wie Hannakam & Schullers „Auratisierungen“ von Auktionsware.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2014)

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