Die wundersame Präsenz des Andy Warhol

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Keiner bringt es auf ähnliche Verkaufszahlen, am Werk allein liegt das nicht: Warhol ist eine Ikone der US-Kultur und verkörpert den amerikanischen Traum.

Schon zu seinen Lebzeiten war er ein Superstar. Ob auf seinen Ausstellungen oder als Gast in der legendären New Yorker Diskothek Studio 54 – wo immer der eigentlich scheue Typ mit der markanten Frisur auftauchte, klickten die Kameras. Andy Warhol war ein Marketinggenie, und er fand schon früh eine Strategie, seine Berühmtheit zu versilbern: Er verkaufte sämtliche Bildmotive als Siebdrucke in Auflagen, einige hochpreisig als Druck auf Leinwand, andere günstig auf Papier. Unmengen davon sind bereits im Handel, und weitere 8000 sind noch im Andy Warhol Museum in Pittsburgh.

Da Warhol nicht sonderlich sorgfältig auf die Druckstöcke achtete und die Drucke zudem meist in Off-Site-Studios entstanden, kamen immer auch nicht autorisierte Werke in den Handel. Seit seinem Tod 1987 hatte die Andy Warhol Foundation so viel mit Echtheitsanfragen zu tun, dazu noch mit massiven Klagen, wenn das begehrte Zertifikat nicht ausgestellt wurde, dass sie nach 16 Jahren im Oktober 2011 die Abteilung auflöste. Wie übrigens auch die Authentifizierungsabteilungen der Stiftungen von Jean-Michel Basquiat und von Roy Lichtenstein – Künstler, von denen hunderte Fälschungen im Umlauf sein dürften. Bei Warhol kommt noch ein Händlerbetrug hinzu: Echte Papierdrucke werden auf Leinwand aufgezogen. Ein Papierdruck kostet bis zu 40.000 Euro, eine Leinwand, möglichst noch übermalt, kann mehrstellige Millionenbeträge bringen. Eine selbst gefertigte Verwandlung von Papier zur Leinwand ist wertlos.

Warum ist trotz der enormen Menge und der Unsicherheit in Echtheitsfragen Warhols Werk so gefragt? Noch dazu, wo seine Bildmotive von einer erschreckend inhaltlichen Seichtheit sind, deren Palette von Blumen bis zum elektrischen Stuhl reicht? Mehr als drei Milliarden Dollar erzielten seine Bilder auf Auktionen im letzten Jahrzehnt. Heuer waren es allein 560 Millionen Dollar, was fünf Prozent des gesamten globalen Kunstmarktes 2014 ausmacht – warum gerade Warhol? Zum einen haben all seine Werke eins gemeinsam: Sie zeigen aus den Medien bekannte Bilder. Menschen mögen, was sie kennen. Besonders Kunstinvestoren suchen alles andere als Auseinandersetzungen mit Neuem, denn nicht Neugierde, sondern die Aussicht auf Rendite lenkt ihr Handeln. Ganz oben auf der Erfolgsliste stehen daher Bildmotive aus der US-amerikanischen Popindustrie: Elvis Presley, Marilyn Monroe, Marlon Brando. Aber auch „Silver Car Crash (Double Disaster)“ von 1963 wurde heuer für 94 Millionen Dollar Hammerpreis ohne Aufpreise versteigert. Und im Wiener Auktionshaus Lehner ging ein Orang-Utan aus Warhols Serie „The Endangered Species“ gerade für 36.600 Euro inklusive Aufschläge weg – einer von 15 Probedrucken.

Zum anderen ist Warhol eine Ikone der US-amerikanischen Kultur und damit auch von nationalem Interesse. Es gehört zu den offenen Geheimnissen, dass der Geheimdienst CIA Mitte des 20.Jahrhunderts die moderne Kunst als Propagandainstrument entdeckte. Wanderausstellungen der Abstrakten Expressionisten wurden organisiert und teilweise sogar gänzlich finanziert, wofür die Farfield Foundation unter dem Namen eines Privatmanns gegründet wurde. Ziel war es, die intellektuelle Freiheit dieser Kunst gegenüber dem Sozialistischen Realismus der Sowjetrepublik zu demonstrieren – und sich gegen den Vorwurf zu wehren, die USA seien eine „kulturelle Wüste“. Auch Andy Warhol passt gut in dieses Konzept.

Berühmt sind seine Reisen im Privatjet des Schah von Persien, der explizit prowestlich war und das mit seinem Freund Warhol zur Schau stellte. In den Siebzigerjahren stellte er in Ländern wie Kuwait aus, wo sonst keine westlichen Künstler auftraten. Warhol war und ist bis heute die Identifikationsfigur des „amerikanischen Traums“, des Selfmade-Mannes, der es als Sohn polnischer Einwanderer zu immensem Erfolg brachte. Schaut man, wer die Warhol-Werke zu Rekordpreisen ersteigert, sind es zum Großteil US-amerikanische Kunstinvestoren wie Steven Cohen oder Jeffrey Gundlach – was vermuten lässt, dass es nicht nur um Höchstgewinne geht, sondern durchaus auch eine Portion Nationalismus mitschwingt, eine Stärkung der Vormachtstellung der USA in Sachen Kunst – die gerade allerdings im Schwinden ist.

Seit einigen Jahren büßen die USA ihre hegemoniale – also kulturelle, d.h. freiwillige und nicht militärisch manifestierte – Stellung immer weiter ein. Das ist besonders deutlich in der Kunst: Abgesehen von Rekordpreisen auf Auktionen ist US-amerikanische Kunst immer weniger präsent, in institutionellen Gruppenausstellungen und auf den weltweiten Biennalen. Seit der Pop Art ist keine stilprägende Entwicklung mehr aus den USA gekommen, die „Appropriation Art“ der 1980er-Jahre war zwar ein leiser Versuch, blieb aber auf halbem Weg stecken. Auch auf dem Auktionsmarkt ist dieser Verlust der Dominanz zu beobachten. Hier liefern sich USA und China einen Kampf um die höchsten Umsätze. Wie schnell China aufholt, zeigte neulich wieder eine Liste. Die Kunstdatenbank Artnet befragte ihre Daten dazu, welche 50 lebenden Künstler in den Auktionen 2014 am besten abschnitten. Man untersuchten 18.079 Künstler. Kriterien waren die maximale Differenz zwischen dem Schätzpreis und dem Verkaufspreis plus die Durchschnittsspanne aller verkauften, mindestens zwei Lose des Künstlers. Erstaunlich ist, dass viele der westlichen Künstler dieser Liste denselben Stil bedienen: eine großflächige abstrakte Malerei mit figurativen Elementen, also das, was heute als „modern“ gilt und polemisch „Crapstraction“ genannt wird, eine Wortneuschöpfung aus „crap“ (Dt. Dreck) und „abstraction“.


China drängt nach vorn. Besonders interessant ist die Länderaufteilung: Insgesamt sind 18 Künstler aus den USA und elf aus China. Wie die USA im letzten Jahrhundert so setzt auch China jetzt auf dieselbe Strategie, um ihre weltpolitische Bedeutung zu verstärken: die Förderung von Kunst – einer chinesischen Kunst, die sich nicht nach westlichen Parametern richtet. Daher erstaunt es auch nicht, dass in der Liste nicht Ai Weiwei genannt ist, sondern der durch Panda-Performances bekannte Zhao Bandi oder Zhang Enli, der Alltagsobjekte seiner Umgebung malt. Die Kunst in dieser Liste ähnelt zwar den großen Stilen des 20.Jahrhunderts, Abstraktion und Pop Art. Die Machtstellung allerdings ändert sich gerade massiv: China ist auf dem Weg, das durch den Hegemonieverlust entstandene Machtvakuum auszufüllen. Die einzige Waffe dagegen scheint momentan Andy Warhol zu sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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