Karikaturen im Nahen Osten: Über die roten Linien zeichnen

(c) Die Presse (Karim El-Gawhary)
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In Ägypten hat drei Jahre nach dem Konflikt um die dänischen Muhammad-Karikaturen das erste arabische Karikaturmuseum eröffnet.

Bissige Karikaturen sind kein Monopol des Westens. Auch wenn beim Streit um die dänischen Muhammad-Karikaturen vor drei Jahren der Eindruck entstand, dass die arabische Welt bei satirischen Zeichnungen keinen Spaß versteht. Wohl auch als Antwort darauf hat jetzt das erste arabische Karikaturmuseum eröffnet. Es zeugt von der fast hundertjährigen arabischen Tradition, Politik und Fährnisse des Alltags mit scharfer Feder zeichnerisch ins Kreuzfeuer zu nehmen. Einzigartig ist auch der Ort der Ausstellung: eine ägyptische Oase.

Eine staubige Straße führt in Fayum, eine gute Autostunde von Kairo entfernt, zu einem ockerfarbenen Lehmhaus. Drinnen finden sich an den Lehmwänden über 200 Karikaturen von über 50 Künstlern. Die älteste ist 80 Jahre alt. Gleich rechts am Eingang hängt die erste bildnerische Selbstkritik. Ein Mann ist auf einem Kaffeehausstuhl eingenickt. „Die arabische Welt“ heißt es über ihm.

Seit Jahrzehnten hat der ägyptische Maler Muhammad Abla Karikaturen gesammelt. Viele hat er auch von den Karikaturisten als Geschenk erhalten, als die von seiner Museumsidee erfahren haben. An der Wand lehnen ein halbes Dutzend Neuzugänge. „Die Hirnfessel, das gefällt mir besonders gut, weil es so simpel ist“, sagt Abla und zieht eine Tafel hervor, auf der ein Mensch im Röntgenquerschnitt abgebildet ist. Sein Hirn ist an eine schwere Eisenkugel gekettet. Meinungsfreiheit ist hier kein selbstverständliches Gut.

Wie Tabus brechen?

„Es ist leichter als früher, aber Karikaturisten kämpfen immer noch mit roten Linien, wie dem Präsidenten, dem Militär oder der Religion“ erklärt Abla. Da hätten alle Künstler ihre Schere im Kopf. Aber vor allem die jüngere Generation findet immer wieder Wege, geschickt mit den Tabus zu brechen: Abla führt zu einer Zeichnung des Künstlers Makhlouf, der hauptsächlich für die unabhängige Tageszeitung „Al-Masri al-Youm“ arbeitet. Ratlos blickt dort ein Mann auf die ägyptische Flagge mit dem großen Staatsadler senior, dem ein kleinerer Junior-Greifvogel zur Seite gestellt ist. Jeder in Ägypten weiß, hier geht es um die andauernden Gerüchte, dass der ägyptische Staatschef Hosni Mubarak seinem Sohn Gamal die Macht vererben will. „Diese Zeichnung ist so intelligent und reduziert, und doch versteht sie jeder in Ägypten sofort“, schwärmt Abla von einem seiner, wie er sagt, „Lieblingsstücke“.

Andere Karikaturen erschließen sich dagegen sofort auch für nichtägyptische Besucher, wie „die Migration in den Norden“: eine Gruppe Männer mit storchähnlich langen Hälsen im Vogelzug nach Norden. Als Flügel dienen ihnen ihre leeren nach außen gekehrten Hosentaschen. Oder – ganz aktuell – die Zeichnung von Amina, einer von vier ägyptischen Karikaturistinnen, die sich in den letzten Jahren einen Namen gezeichnet haben. Ein Mann droht auf einer abfallenden Wirtschaftskurve aufgespießt zu werden. Auf Arabisch geht es natürlich von rechts nach links in die Rezession.

Nahost-Konflikt ist auch Thema

„In einem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung nicht lesen und die andere Hälfte sich kaum Bücher leisten kann, kommt der Karikatur besondere Bedeutung zu“, so Abla. „Eine Zeichnung kann so viel ausdrücken wie eine Seite Text und dabei in einem Land wie Ägypten wesentlich mehr Menschen erreichen“, sagt er.

Einen Raum weiter erklärt sich Saddam Hussein als Pirat von selbst, genauso wie das Porträt des ägyptischen Ministers, der sich mit Säcken voller Dollars davonmacht. Auch der Nahost-Konflikt ist Thema: „Habt noch etwas Geduld, wir lösen euer Problem, wie wir es mit ihm gelöst haben“, sagt Uncle Sam zum Palästinenser und deutet auf einen Indianer hinter ihm.

Oft geht es aber auch um die arabische Mangelware Demokratie, wie bei der Dusche aus dem kalligrafischen arabischen Schriftzug für Demokratie, unter dem eine Gruppe von Menschen sehnsüchtig einem einzelnen fallenden Tropfen entgegenblickt. „99,9Prozent“, wird auf einer anderen Tafel das präsidiale Wahlergebnis verkündet, ebenfalls von der ägyptischen Zeichnerin Amina. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass die Zahl aus lauter kleinen arabischen Neins besteht.

Die dänischen Mohammed-Karikaturen, glaubt Abla, waren eine gezielte Provokation, mit der Europa und die USA den neuen Feind Islam herausfordern wollten. „Das Schlimme ist, dass die Menschen hier genauso darauf reagiert haben, wie es von ihnen erwartet wurde.“ Es wäre besser gewesen, das Ganze einfach zu ignorieren, meint er.

Auch eine der Karikaturen im Museum beschäftigt sich mit dem Kampf der Kulturen. Eine Gruppe Männer sitzt in einem Kaffeehaus über einer Zeitung, deren Schlagzeile das neueste ägyptische Zugunglück verkündet. Einer der Leser wendet sich an die anderen Kaffeehausgäste mit dem Satz: Im Westen beschäftigt man sich mit dem Zusammenstoß der Kulturen, während wir uns hier mit dem Zusammenstoß unserer Züge plagen.

LEXIKON

Der Karikaturenstreit 2005 entzündete sich aufgrund von zwölf Zeichnungen, die die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ veröffentlichte. Die Darstellung von Mohammed ist für viele Moslems eine Herabwürdigung ihrer Religion. Europa argumentierte mit der Freiheit der Kunst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2009)

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