„HyperAmerika“: Die Magie des Landes

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Was macht die Landschaft mit uns, was machen wir mit der Landschaft? Ein Themenschwerpunkt des Joanneums – und die Schau „HyperAmerika“.

Schließen Sie die Augen, denken Sie an Amerika, was fällt Ihnen ein? Wolkenkratzer, ein Wohnwagen, ein chromblitzendes Fahrzeug und endlose Weite. All das sehen Sie hier: Das steirische Landesmuseum Joanneum, ein Universalmuseum, man könnte auch sagen, ein Cluster aus vielen Sammlungen an verschiedenen Standorten, hat sich heuer den Schwerpunkt Landschaft vorgenommen. Dazu gehört auch „HyperAmerika“, eine Ausstellung, die demnächst im Kunsthaus Graz eröffnet wird. Hyper bedeutet auf Griechisch: über, oberhalb. Hyperrealismus bedeutet realistischer als real – und wird vor allem mit Amerika verbunden, obwohl die Strömung in der Kunst bereits in der Antike erkennbar ist: bei Skulpturen.

Das Überrealistische kann unterschiedliche Wirkungen haben: schön oder gruselig, in beiden Fällen wird übertrieben. „Friendly Alien“ wurde das Grazer Kunsthaus von seinen Schöpfern Peter Cook und Colin Fournier genannt, die Fotos aus den USA, Ikonen einer Weltsicht von „God’s Own Country“, finden hier das passende technoide Ambiente, scheint doch das Gebäude selbst ein hyperrealistisch ausgeufertes Raumschiff zu sein. Man denkt an die Botschaften von der Erde, die in den Kosmos gesendet wurden. Eine Botschaft der Schau ist: Nostalgie und Optimismus. Man vermeint fast die offizielle und die heimliche amerikanische Hymne zu hören, „The Star-Spangled Banner“ und „America the Beautiful“. In beiden Liedern kommt „the land“ vor, ein magischer Begriff, mehr im Kosmischen oder in der Befindlichkeit als im Geografischen zu Hause. „The land“ ist ein Zustand, manchmal ein glorreicher, manchmal aber auch ein mieser – wie man in „The Lay of the Land“ von Richard Ford nachlesen kann, in dem es um einen Immobilienmakler, aber auch um die USA unter Präsident George W. Bush geht. Wie übrigens auch in einem der letzten Romane von John Updike (1932–2009), „Der Terrorist“. Beide Bücher sind zur gleichen Zeit erschienen, 2006.

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Europäische und amerikanische Träume. In den 1960er- und 1970er-Jahren, als der amerikanische Hyperrealismus entstand, der jetzt im Kunsthaus das Auge betört, war Amerikas Selbst- und Fremdbild noch weitgehend intakt, was nicht zuletzt mit zwei gewonnenen Weltkriegen zu tun hatte. Amerikas Begabung, sich selbst zu feiern, besteht trotz gemischter militärischer Erfolge noch immer. Manche finden, das skeptische Europa könne sich nicht nur diesbezüglich eine kräftige Scheibe von den USA abschneiden. „Die amerikanische Landschaft ist vielerorts geprägt vom American Dream“, schreibt Katia Huemer, Historikerin und Kuratorin der „Hyper­Amerika“-Ausstellung (gemeinsam mit Joanneum-Intendant Peter Pakesch), in ihrem Katalogbeitrag, und weiter: „Im Selbstverständnis des Landes zwar frei und unabhängig, ist Landschaft nach heutigem Verständnis von Menschenhand geformt und ihre Darstellung von der Zivilisation nicht mehr zu entkoppeln. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Amerika ein ganz eigener, vom europäischen Landschaftsbegriff stark unterschiedlicher Umgang mit dem Land, der im Zuge der Manifest Destiny, der ,vorgesehenen Bestimmung‘ der Nation, sich über den Kontinent auszubreiten und von ihm Besitz zu ergreifen, eine einzigartige ideologische Wende erhielt, die bis heute im kollektiven Bewusstsein der USA verankert zu sein scheint.“ Dennoch weise das große zivilisatorische Projekt Amerika eine merkliche Spannung zwischen einer großen Lust auf Freiheit und einem gleichzeitigen Bedürfnis nach Regeln auf, schreibt Huemer: Dies werde spürbar, „wenn man das Land auf seinen endlosen Highways durchmisst und die Vereinigten Staaten aus dem Autofenster betrachtet; ein Blick, der 1957 mit Jack Kerouacs Roman ,On the Road‘ – einer literarischen Hommage an den Highway und Vorgriff auf die Realisierung außergesellschaftlicher Lebensformen des nächsten Jahrzehnts – manifest und spätestens mit der Fernsehserie „Route 66“ Anfang der 1960er-Jahre populär wurde und eine ganze Künstlergeneration und ihre Reflexion über das Land, in dem sie lebte, beeinflusste.“

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Aber auch Europa färbte seine Landschaft faktisch wie mit einer Message: von den feenhaften Gemälden des Barock, bei denen man den Eindruck hat, sie entstanden bloß im Kopf, bis zur Romantik. Man muss näher hinsehen, um das Unheimliche, das etwa auch in den Naturschilderungen Adalbert Stifters deutlich wird, wahrzunehmen. Die Werbeindustrie hat sich vom Hyperrealismus viel abgeschaut, und es ist interessant, dass sie ihn trotz der phänomenalen Revolutionen der Aufnahmetechnik der vergangenen Jahrzehnte in der Wirkung durchaus nicht leicht erreicht. Da ist etwa „Downtown“ von Richard Estes von 1978, Malerei und Fotografie scheinen untrennbar verbunden. In den „Lincoln Continental“ (1963) von Lee Friedlander wird gleich James Dean einsteigen, ach, der war ja schon acht Jahre tot. Warum hat man den Volkswagen, das erste Auto nach der Fahrprüfung 1975, nicht in der Garage aufbewahrt? Er schien so hässlich, auf Don Eddys Aufnahme „Untitled“ (1971) hingegen schillert er wie ein verführerisches Symbol für Mobilität.

Der kleine blaue Planet, Insel im weiten All. Der VW ist freilich kein unbedingt amerikanisches, eher ein europäisches Symbol – und belastet: Die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ wollte mit dem „KdF-Wagen“ den Menschen ein billiges Auto bescheren, die dafür sparten und ihr Geld großteils nie wiedersahen. Aus vielen verschiedenen Perspektiven umrundet das Joanneum heuer die Landschaft: Bis Oktober läuft „Landschaft in Bewegung. Filmische Ausblicke auf ein unbestimmtes Morgen“, ebenfalls im Kunsthaus Graz. Es geht um die Änderung in der Wahrnehmung des Planeten Erde durch die Weltraummissionen ab den 1960er-Jahren, die vor Augen führten, dass der Lebensraum endlich ist. Die Schau zeigt, wie sich der Begriff von Landschaft verwandelte und welche Rolle Film und Fotografie dabei spielen. Ab 27. August widmet sich das Joanneum im Museum im Palais einem Stück steirischer Landschaft, genauer gesagt einem steirischen Gewässer: „Die Mur. Eine Kulturgeschichte“ beleuchtet in acht Kapiteln, was die Mur ursprünglich war, wie sie genutzt wurde, kulturell, wirtschaftlich, sozial, und wer daran wie beteiligt war und ist. „Was macht das mit mir?“ Könnten Flüsse reden, würden sie sich das bestimmt fragen. Nur ein Beispiel: Bis in die späten 1980er-Jahre verschmutzte die (Papier-)Industrie die Mur, heute ist sie in ihrem langsam fließenden Bereich südlich von Graz weitgehend saniert, verschwundene Fisch- und Vogelarten sind zurückgekehrt. Über einen langen Zeitraum in der Vergangenheit war das Land unwirtlich und gefährlich, bewohnt von wilden Tieren. Im 19. Jahrhundert kam es auch durch den Fortschritt der Technik zur Eroberung der Landschaft. Davon handelt „Landschaft: Transformation einer Idee – Kunst von 1800 bis heute“ aus der Sammlung der Neuen Galerie in Graz. In dieser Zeit entdeckten die Menschen die Lust an weiten Reisen, damals neue Medien wie Fotografie, Film bzw. im 20. Jahrhundert der Computer gewannen an Bedeutung und veränderten nachhaltig die Wahrnehmung der Realität. Zu sehen sind u. a. Werke von Thomas Ender, Friederich Gauermann, Michael Schuster und Herbert Brandl. Traum und Wirklichkeit waren oft himmelweit verschieden: Joseph von Eichendorff veröffentlichte 1826 seine Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“, in der er in bezaubernden Landschaftsschilderungen schwelgt. Der Dichter selbst nahm an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil und werkte als Referendar im preußischen Staatsdienst.

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Dunkel lockende Welt Aussee. Im Mai wird im Naturkundemuseum die Schau „Vom Matterhorn ins Vulkanland“ eröffnet, über Landschaften entlang des Alpenbogens von der Schweiz bis ins südoststeirische Vulkanland. Basis für diese Ausstellung ist der „Geologische Luftbildatlas der Alpen“ des Geologen Kurt Stüwe und des Fotografen und Fliegers Ruedi Homberger. Eher praktisch gedacht ist das Projekt „Steiermark im Blick. Perspektiven auf eine Landschaft“ über Landwirtschaft, Tourismus und soziale Netzwerke, die womöglich das Wandern ersetzen (Volkskundemuseum Graz, bis Jänner 2016). Die „Politische Landschaft“ nimmt schließlich das Institut für Kunst im öffentlichen Raum unter die Lupe – und zwar am Beispiel des Ausseerlandes. Diese Landschaft mit ihren Bergen und Seen zog und zieht viele Menschen an, zum Wandern und Urlauben. Es gibt aber auch noch die politische Geschichte, speziell die Zeit des Nationalsozialismus, die das Salzkammergut prägte. In Aussee wurden zu Kriegsende die Kunstschätze aus Österreichs Kirchen, Klöstern und Museen bewahrt. Davon handelte zuletzt der Film „Monuments Men“ mit George Clooney.

Tipp

HyperAmerika, Landschaft – Bild – Wirklichkeit. 9. 4. bis 30. 8. im Kunsthaus Graz.

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