Tracey Emin: „Ich bin eher auf meine Brüste fixiert“

British artist Tracey Emin poses in front of her painting ´Distant Memory´ in Leopold Museum in Vienna
British artist Tracey Emin poses in front of her painting ´Distant Memory´ in Leopold Museum in Vienna(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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Tracey Emin, britischer Superstar der Kunst, rockt Wien. Sie stellt ihre Akte im Leopold-Museum gemeinsam mit denen ihres Lieblings Egon Schiele aus. Ein Gespräch über gesichtslose Frauen und den eigenen Körper als Thema.

You got 15 minutes“, sagt die Assistentin, bevor sie aus dem Leopold-Auditorium entschwindet. Und mich mit der coolsten Künstlerin der 1990er-Jahre auf der Bühne sitzen lässt. Vor der Tür warten die Kolleginnen. Die Fragen mussten vorher abgegeben werden. Ja, das passiert einem in der bildenden Kunst recht selten, das ist sonst eher bulgarisches Autorenkino mit polnischen Untertiteln, weniger Hollywood. Aber Tracey Emin ist ein Superstar und weiß es auch. Sie ist „Die mit dem Bett“, das ihr in ungemachtem und auch sonst reichlich grindigem Zustand (Liebeskummer!) 1999 (beinahe) den Turner Prize in London einbrachte. Jedenfalls brachte es ihr eine Prominenz, die es mit der von Landsmann Damien Hirst aufnehmen kann.

Was wohl auch mit der „Confessional Art“ zu tun hat, die sie betreibt – man glaubt, alles von ihr zu kennen, die Namen ihrer Liebhaber, die sie auf ein Zelt stickte, die sexuelle Gewalt ihrer Kindheit, die sie in ein Video packte, ihr Leben zwischen Alk und Sex als Teenager im britischen Küstenort Margate, das detailliertest in ihrer Autobiografie „Strangeland“ nachzulesen ist. Man weiß auch, dass sie Schiele auf Plattencovers von David Bowie entdeckt hat: Sie war fasziniert. Endlich einer, der sich so wie sie extensiv mit dem eigenen Körper, dem eigenen Sex beschäftigt. Sie tat das in tausenden Zeichnungen, Selbstporträts, die sie jetzt unter anderem im Wiener Leopold-Museum gemeinsam mit Schiele-Akten (aber nur einem Schiele-Selbstporträt!) ausstellt.

„Die Presse“: Es gibt viele Emin-Groupies. In dieser Ausstellung waren aber sie das Groupie. Nervös?

Tracey Emin: Ich hatte keine Angst, bis wir begannen, zu hängen. Dann fragte ich mich schon, was ich nur getan habe. Mich der Kritik derart ans Messer zu liefern! Wenn das schief geht, wird es grauenhaft, fürchterlich, schlecht für meine Karriere. Aber es ist nicht schief gegangen.

Es ist tatsächlich delikat, so eine Gegenüberstellung.

In London wäre es weniger mutig gewesen, aber hier, im Herzen – ich habe den gefährlichsten Platz dafür ausgesucht. In London, auch in New York gibt es fast keine Schieles. Ein Schulkind in London wird keinen Schiele zu sehen bekommen.

Und ein Wiener Schulkind keinen Turner.

Ja, wir sollten Turner freilassen. Und Österreich Schiele. Die Norweger haben das mit Munch bereits getan.

Wir sind uns hier wohl auch Schieles Schattenseiten bewusster, seiner Anklage wegen Kindesmissbrauchs etwa...

Glauben Sie, dass er das getan hat? Er hat alles gezeichnet und gemalt, was ein Tabu war! Um 1900 konnte man 12-Jährige heiraten, bitte! Leute haben ganz anders gedacht. Von heute aus gesehen ist es natürlich völlig unakzeptabel und darf nie wieder geschehen.

Damals wie heute weiß man nicht genau, was geschah, Schiele wurde freigesprochen. Mir ging es um die Parallele zu Ihnen, da sie als Kind missbraucht wurden. Hat Sie das nicht irritiert in Ihrer Schiele-Begeisterung?

Nein, es ist eine Facette von Schieles Werk. Ich mache etwas ganz anderes. Ich versuche nicht zu schockieren. Ich will hier keine Ähnlichkeit mit Schiele aufzeigen. Meine Ähnlichkeit mit Schiele ist, dass er sich wie ich selbst zum Thema nimmt. Darum geht es hier. Um sonst gar nichts.

Okay. Sie sagen, Sie sind Feministin.

Hardcore-Feministin.

Wenn man das nicht weiß, Ihre Biografie nicht kennt, nicht weiß, dass Ihre Akte Selbstporträts sind – dann sieht man hier nackte Frauen mit gespreizten Beinen ohne Gesicht, wie man sie aus der Kunstgeschichte zur Genüge kennt.

Nein. Weil ich hier sitze und Ihnen sage, dass es das nicht ist. Und ich werde das wiederholen. Und schreien, dass es das nicht ist. Ich bin das, die sich selbst malt. Ich bin die, die die Entscheidungen trifft. Seit zwölf Jahren lebe ich allein. Ich bin finanziell unabhängig. Ich brauche Männer für gar nichts in meinem Leben. Ich sage nicht nur, dass ich Feministin bin, ich lebe es.

Und warum lassen Sie die Gesichter weg?

Es ist wichtig, dass es eine Frau ist, jede Frau. Es muss nicht ich sein. Aber es ist wichtig, dass ich als Frau sie gemacht habe.

Man könnte meinen, dass eine Frau einen anderen Blick auf sich selbst hat. Nicht so genitalfixiert?

Das bin ich nicht! Gehen Sie noch einmal in die Ausstellung und zählen Sie nach. Ich bin eher auf meine Brüste fixiert, denke ich.

Gut, ich gehe noch einmal zählen.

In meinem Archiv sind 36.000 Bilder, 25.000 davon sind Zeichnungen. Und die sind nicht auf meine Genitalien konzentriert, glauben Sie mir. Es gibt Landschaft, Tiere, tausende, die nicht auf meine Vagina konzentriert sind. Aber hier, in Korrelation zu Schiele, haben wir natürlich diese ausgesucht.

Gibt es auch Zeichnungen junger Männer?

Seit zehn Jahren male ich an einem Bild eines Penis. Und jetzt, zu Weihnachten, habe ich es gerade fertiggestellt.

Zehn Jahre für einen!?

Ja, es ist mein perfekter Penis. Ich werde ihn nie verkaufen.

Apropos verkaufen. Die Galerie, von der Sie seit Beginn vertreten werden, White Cube in London, scheint eher penisfixiert. Wissen Sie, wie viele Künstlerinnen im Programm sind?

Nein. Ich war jedenfalls die Erste, die Jay Jopling vor 22 Jahren aufnahm.

Es sind rund 50 Künstler, davon 13 Frauen. Es ist in anderen führenden Galerien allerdings ähnlich. Wieso?

Es geht auch darum, dass Kunst von Frauen sich weniger gut verkauft. Wichtiger finde ich aber, auf die Preise am Auktionsmarkt zu achten. Meine Werke werden um weniger verkauft als die meiner Kollegen.

Warum?

Zum Teil, weil Frauen mit anderen Materialien arbeiten. Und warum soll es im Kunstmarkt anders sein als im Rest der Gesellschaft? Es braucht einfach mehr Künstlerinnen, die lange Karrieren haben. Kinder verzögern ihre Karriere. Es gibt jetzt so viele Künstlerinnen um die 30, 40. Also warten wir 50 Jahre und sehen, was dann passiert. Nach dem Kinderding.

Danke. Es ist undankbar, in 15-Minuten-Slots Interviews zu führen.

Ja, von Ihrer Seite aus. Von meiner ist das die einzige Möglichkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2015)

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