Neomoderne in Brüssel?

(c) Kristof Vrancken
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Die Art Brussels kündigt einen neuen Standort an, und der Kunstmarktliebling Sterling Ruby sucht einen Ausweg »aus der Dekorationsfalle«.

Eine Überraschung: Im nächsten Jahr wird die Art Brussels ihren Standort im Brüsseler Messegelände aufgeben. Neue Museen, immer mehr Galerien und eine lebendige Kunstszene verlangen nach räumlicher Nähe zur Stadt, erklärte die künstlerische Leiterin der Messe, Katerina Gregos. Zudem erhält die renommierte, seit 1968 bestehende Kunstmesse Konkurrenz: Für 2016 hat die New Yorker Independent ihren Auftritt in Brüssel angekündigt. Vor sechs Jahren gegründet, bringt sie vornehmlich US-amerikanische Händler in die Stadt. Also zieht die Art Brussels ebenfalls ins Zentrum, neue Herberge wird das Tour-And-Taxis-Gelände im Norden Brüssels am Ufer des Willebroek-Kanals. Es war ursprünglich im Besitz der Familie Thurn und Taxis, die Stadt kaufte es Ende des 19.Jahrhunderts und erweiterte es als Bahnhof und Büroanlage für den Hafen. Als dieser Ende der Achtzigerjahre aufgegeben wurde, begann der Verfall des Geländes, seit 2001 ist es ein neues urbanes Quartier.

Aber der Schritt in die Stadt hat massive Konsequenzen. Die Eröffnung der Messe ist jedes Jahr ein großes Ereignis, die rund 190 Galerien ziehen am ersten Abend an die 10.000 Menschen an. Diese große Zahl wird am neuen, deutlich kleineren Standort nicht mehr möglich sein. Auch die Zahl der Galerien wird eingeschränkt – die Art Brussels muss schrumpfen! Das wird schwierige Entscheidungen nach sich ziehen. Die Art Brussels gilt als Entdeckermesse, hier werden junge Positionen gefördert. Wie viele der jungen Galerien werden am neuen Standort noch Platz finden? 14 Galerien nehmen heuer an der neuen Sektion „Discovery“ teil, 90 gehören zu „Young“ (unter acht Jahren alt), und 31 Künstler sind in Solopräsentationen vorgestellt – ein Aspekt, der Gregos sehr am Herzen liegt. Denn die erfolgreiche internationale Kuratorin – sie ist heuer auch für den belgischen Pavillon bei der Biennale Venedig verantwortlich – will die Messe nicht ausschließlich dem Kommerz überlassen. Als sie die Messe vor drei Jahren übernahm, reduzierte sie als Erstes die Menge der präsentierten Künstler: Qualität statt Quantität ist ihr Motto.

Das geht heuer auch hervorragend auf. Die Qualität bei den Jungen und bei den Etablierten (87 Galerien nehmen in der Kategorie „Prime“ teil) ist sehr hoch. Allerdings wird gerade bei „Discovery“ und „Young“ unübersehbar, wie problematisch der aufgeblasene Kunstmarkt gerade für den Nachwuchs ist. Der Warenmenge, die für den expansiven Kunstmarkt benötigt wird, fehlt oft die Qualität.


Talbots Sexfantasien. Sicher, es gibt einige großartige Entdeckungen wie die junge Engländerin Emma Talbot am Stand der Düsseldorfer Petra-Rinck-Galerie: Emotionale, leicht surreale Zeichnungen, die in comicähnlichen Bildfolgen kurze Situationen schildern, Sexfantasien, aber auch Szenen aus Filmen, die der Künstlerin nicht mehr aus dem Kopf gegangen sind. Die Einzelzeichnungen beginnen bei 900Euro, die Großen kosten 2500. Das sind Preise, bei denen nicht nur ein wichtiger Sammler aus Luxemburg sofort zugegriffen hat. Oder der Solostand von Sammy Baloji bei Imane Fares: Der im Kongo geborene Künstler fand Archivfotografien von Mienen in seinem Heimatland. Die Arbeiter aus den historischen Aufnahmen montiert er in Fotografien der heute verfallenen Anlagen hinein – eine zeitverdichtete Reise in eine traurige Vergangenheit (ab 9000€).

Die meisten jungen Positionen lassen jedoch jede Schärfe und Experimentierfreudigkeit vermissen – im Gegenteil, oft werden die Väter brav nachgeahmt. Offenbar wird durch leichtes Variieren von Bekanntem eine schnellere Karriere erwartet, was zumindest in Sachen Verkauf oft aufgeht. Die vielen angereisten Kuratoren dagegen werden aus diesem Pool kaum etwas mitnehmen. Interessanterweise gehen arrivierte Künstler zunehmend den umgekehrten Weg: Sie suchen eine aktive, teilweise brutale Auseinandersetzung mit der Geschichte. Wichtigste Reibungsfläche ist dabei erstaunlicherweise die Moderne. Bei Künstlern von Sterling Ruby bis Mounir Fatmi kann man sehen, dass diese Phase unserer Kunstgeschichte noch längst nicht abgeschlossen ist. Der in Marokko lebende Fatmi reinszeniert die strengen Kompositionen der Bauhaus- und De-Stijl-Künstler. Aber nicht Pinsel und Pigment sind sein Material, sondern Fragmente von moslemischen Gebetsteppichen. Um den heftigen Kontrast noch zuzuspitzen, montiert er die ornamentalen Stücke auf eine ungrundierte Leinwand und verpasst dem Ganzen einen dieser spießigen Rahmen des frühen 20.Jahrhunderts – Tradition knallt auf Tradition.

Rubys Pappkartons. Eine gänzlich unerwartete Auseinandersetzung mit der Moderne zeigt der kalifornische Superstar Sterling Ruby. In der Xavier-Hufkens-Galerie sprach Ruby anlässlich seiner Einzelausstellung mit Dirk Snauwaert, Direktor des Brüsseler Kunsthauses Wiels. Ruby wurde durch seine Spraybilder berühmt, die bei Auktionen mehr als eine halbe Millionen Dollar bringen. Mit diesen Werken sei jetzt Schluss, erklärt er: Sprayen sei „out“. Stattdessen zeigt er riesige Pappkartonbilder. Auf Grundfarben und -formen reduziert, ist die Beschäftigung mit der Bauhaus-Ästhetik unübersehbar.

Ruby als Neomodernist? Seine Spraybilder seien Dekoration, das sei das Problem seiner Generation, und das gelte genauso für die glänzenden Oberflächen und die technische Perfektion der Kunst à la Jeff Koons. Dieser sei „the modern of today“ und sähe heute alt aus. Er, Ruby, suche jetzt einen Weg „aus der Dekorationsfalle“, und dieser führe ihn durch eine „Hintertür in die Vergangenheit“: Er will im Atelier arbeiten, mit seinen Händen, ohne Technik, ohne Theorie, ohne Perfektionsanspruch. Darum können die Formen seiner Bilder auch krumm ausgeschnitten, schief aufgeklebt sein, keine monochrome Fläche ist ebenmäßig und die Gesamtform eher zufällig entstanden. Ähnlich wie Fatmi aktualisiert Ruby die Vorgaben der Moderne. Bei beiden ist die Idee von Freiheit im Spiel, bei dem einen aus den Zwängen der Religion, bei dem anderen aus den Zwängen des Kunstmarkts. Wie werden die Jungen auf diese unerwartete Kehrtwende reagieren, die die gerade so beliebte, seichte Abstraktion verabschiedet? Diese Frage wird hoffentlich bei der nächsten Art Brussels zu sehen sein.

191 Galerien

Die Art Brussels gilt als Entdeckermesse mit Schwerpunkt auf junger Kunst. Heuer nehmen an der 33. Ausgabe der Art Brussels 191 Galerien teil, darunter auch fünf aus Österreich: Heike Curtze und Petra Weiser, Krinzinger, Mario Mauroner, Raum mit Licht, Steinek. Mauroner zeigt eine Solopräsentation von Markus Hofes skulpturalem Projekt „Das endlose Zimmer“, Krinzinger die neuen, farbigen Abstraktionen von Jannis Varelas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2015)

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