Reformationsjubiläum: Martin Luther und die "größten Narren"

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2017 wird in Deutschland der 500.Jahrestag der 95 Thesen Luthers gefeiert. Schon jetzt findet die erste Nationale Sonderausstellung zum Thema statt: "Luther und die Fürsten" auf Schloss Hartenfels in Torgau (Sachsen).

Sie sind im Allgemeinen die größten Narren oder die ärgsten Buben auf Erden“: So despektierlich über die Fürsten äußerte sich Martin Luther in seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“. Man müsse, fügt er hinzu, bei ihnen „allezeit auf das Ärgste gefasst sein“: „Denn es sind Gottes Stockmeister und Henker, und sein göttlicher Zorn gebraucht sie, die Bösen zu strafen und äußerlichen Frieden zu halten.“

Das war 1523, sechs Jahre nach den 95 Thesen. Luther war von der Wartburg, wo er die Bibel übersetzt hatte, nach Wittenberg zurückgekehrt, um die Radikalisierung der Reformation zu bremsen: Die Freiheit eines Christenmenschen bedeute nicht Freiheit von Leibeigenschaft, predigte er; jeder Aufruhr sei von Gott verboten. Das galt insbesondere für die Bauernaufstände, die vom linken Flügel der Reformation – mit Thomas Müntzer, dem Gegenspieler Luthers – unterstützt wurden. Luther verdammte sie scharf, wetterte „wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“, die man „zerschmeißen, würgen, stechen“ solle. Das taten dann 1525 etliche Fürsten, katholische, aber auch Philipp von Hessen, der sich soeben der Reformation angeschlossen hatte. Nicht an der Niederschlagung der Bauernkriege beteiligte sich Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, der erste Beschützer Luthers: Im Gegensatz zu diesem meinte er, man solle die Forderungen der Bauern erfüllen.

Klassische Herrschergeschichte

Von den Bauernkriegen, von Müntzer, überhaupt von sozialen Zuständen ist auffällig wenig zu lesen und zu sehen in der Ausstellung „Luther und die Fürsten“. Vielleicht kann man das auch als späte Reaktion auf die DDR-Zeit verstehen, in der Müntzer als quasi sozialistischer Held gefeiert wurde. Die Ausstellung zeigt die Reformation jedenfalls als das, was sie effektiv war: eine – von den Unteren mitgetragene – religiöse Umwälzung von oben, die starke machtpolitische Auswirkungen hatte. Sie zeigt also hauptsächlich klassische Herrschergeschichte, illustriert mit vielen Siegeln und Schwertern, Prunkmänteln und Harnischen. Darunter der silberne Harnisch von Christian I. von Sachsen, der sich, wiewohl persönlich vor allem an Vergnügungen interessiert, offiziell dem Calvinismus annäherte, was sich u.a. darin äußerte, dass er seine Tochter 1591 ohne die im Luthertum übliche Exorzierung taufen ließ...

Wer mit den Fürstengeschlechtern im deutschen Fleckerlteppich nicht innig vertraut ist, kann respektive muss einiges dazulernen bei dieser reichen Schau im Renaissanceschloss Hartenfels in Torgau, einem heute idyllisch, aber etwas abseits gelegenen Ort, der einst Zentrum der Reformation war.

Es ist die erste von vier Nationalen Sonderausstellungen zum Reformationsjubiläum 2017. Dieses Format wurde dafür neu geprägt – was illustriert, wie wesentlich die Reformation für das Selbstverständnis Deutschlands ist. Bis heute, wo bekanntlich eine Pfarrerstochter Kanzlerin ist und ein – ebenfalls evangelischer – Pfarrer Präsident.

Da mag der Kölner Historiker Heinz Schilling im Katalog die Reformation „nicht primär als Modernisierung, sondern als Reaktion auf eine Modernisierungskrise“ sehen, die Einschätzung, dass die katholische Kirche sich ohne Luther halt weiter selbst reformiert hätte, überzeugt nicht. Und er mag sich über einen „FAZ“-Leitartikel mokieren, der Wirtschaftspolitik und Konfession zusammenbringt (sparsame protestantische, verschuldete katholische Länder). Dieser variiert im Grunde nur die über hundert Jahre alte Arbeit Max Webers über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus. Und hatte Weber resp. die „FAZ“ nicht recht? Auch darüber kann man – vielleicht animiert durch die vielen ausgestellten Münzen – in Torgau grübeln.

Manches lässt auch schmunzeln. So erfährt, wer sich immer schon gefragt hat, warum in München so viele Benno heißen: Benno, um 1100 Bischof von Meißen, wurde 1523 vom Papst heiliggesprochen, worauf Luther die Streitschrift „Wider den Abgott und Teufel, der zu Meißen soll erhoben werden“ verfasste. Der letzte Meißner Bischof brachte die bedrohten Reliquien Bennos nach München, wo dieser zum Schutzpatron wurde.

Eine Kirche, wie sie Luther wollte

Die wohl größte Attraktion von Schloss und Ausstellung ist aber die Schlosskapelle, der erste genuin protestantische Sakralbau, 1544 von Luther persönlich geweiht und nach seinen Vorstellungen gestaltet: ein lichter Raum mit Rippengewölbe, klar strukturiert, mit einigem Gold, aber – im Gegensatz zur Frauenkirche in Dresden – bescheiden wirkend. Die Kanzel bricht auffällig die Symmetrie, was die Bedeutung der Predigt im evangelischen Gottesdienst unterstreicht. Die drei biblischen Szenen auf ihr atmen den Geist der Reformation: Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel, Jesus vergibt der Ehebrecherin, der zwölfjährige Jesus im Tempel, mitten unter den Schriftgelehrten. Nur die Engel unten an der Kanzel sind etwas üppig: Man darf vermuten, dass sie sich der von Angst vor Teufeln geplagte Luther zum Schutz vor diesen wünschte.

Der Kurfürst – damals August – konnte von seinem Schlafzimmer aus über eine Nische den Gottesdienst verfolgen. In der von ihm eingerichteten Kanzlei befindet sich heute ein wichtiger Teil der Ausstellung: Man sieht etwa die Kupferstiche von Cranach d.Ä., die den Papst als Antichristen zeigen, und ein nicht minder polemisches Werk seines Sohns, das ein evangelisches Abendmahl einer katholischen Höllenfahrt gegenüberstellt. Aber auch Fakten, etwa über historische Strukturen der evangelischen Kirche: Die oberste Kirchengewalt lag damals – wie heute noch in der anglikanischen Kirche – ausdrücklich bei den Landesherren. Von denen der alte Luther, mit seiner Obrigkeit gut arrangiert, wohl nicht mehr als größten Narren oder ärgsten Buben gesprochen hätte.

„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“: Über dieses Jesus-Wort predigten zur Eröffnung der katholische Bischof von Magdeburg und der stellvertretende evangelische Landesbischof. Die in und nach der Reformation ausgehandelte und ausgekämpfte Teilung der Macht sei vorbildlich für die heutige Demokratie: Darüber waren sie sich einig, 498 Jahre nach den 95 Thesen.

500 JAHRE REFORMATION

Am 31.Oktober 1517 schickte Martin Luther 95 Thesen gegen den Ablasshandel an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg – und dann an andere Personen. Dass er sie an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg genagelt haben soll, ist umstritten. Sie gelten jedenfalls als Start der Reformation.

Vier Nationale Sonderausstellungen finden zu diesem Jubiläum statt: Auf „Luther und die Fürsten“ in Torgau (bis 31.10.2015) folgen 2017: „Der Luthereffekt“ (Auswirkung der Reformation auf die Welt) in Berlin (Gropiusbau), „95 Menschen – 95 Schätze“ (über Luther als Person) in Wittenberg, „Luther und die Deutschen“ auf der Wartburg in Eisenach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2015)

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