"Kurator, Collector"

Als Bärin verkleidet: Anca Munteanu Rimnic.
Als Bärin verkleidet: Anca Munteanu Rimnic. Galerie Charim
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Penkers "idealer Strich", Jungwirths Fußabdrücke, Armans zerschnittene Geigen: Beim sechsten Vienna Gallery Weekend ist viel zu entdecken.

Gerade noch war Song Contest, jetzt ist Kunst. Bis Sonntagabend dauert das sechste Vienna Gallery Weekend: 21 Galerien halten ihre Türen weit offen. 2014 kamen über 10.000 Besucher, viele aus dem Ausland. Denn Wien ist für seine zeitgenössische Kunstszene berühmt, die Galerien programmieren Höhepunkte für diesen Termin.

Entstanden ist die Idee vor elf Jahren in Berlin. Einige Kunsthändler waren nicht zufrieden mit der Kunstmesse Art Forum. Zu niedrig schien ihnen die Qualität, zu wenige Sammler reisten an. Das Gallery Weekend Berlin war sofort ein Erfolg und ist mittlerweile ein fester Termin für Kuratoren und Kunstkäufer. Immer mehr Städte – Düsseldorf, München, Chicago usw. – übernehmen dieses Konzept. Es ist die perfekte Alternative zu den immer teurer und mühsamer werdenden Kunstmessen. Anders als dort wird in den Galerieräumen keine schnell zu konsumierende Glanz- und Glitzerkunst geboten. Hier lassen sich die Kunden mehr Zeit für tiefere Auseinandersetzungen mit den Werken. Das ist auch möglich, weil die Galerien ihre Künstler in eigenen Räumen mit umfassenden Einzelpräsentationen oder in konzentrierten thematischen Zusammenhang vorstellen können.

Attersee, Brus, Rainer. Die Wiener Galerien legen heuer einen Schwerpunkt auf Klassiker: Die Galerie Heike Curtze Petra Seiser zeigt aus Anlass ihres 40-Jahr-Jubiläums Werke von Christian Ludwig Attersee über Günter Brus bis Arnulf Rainer. Ein Best-off hat auch die Christine König Galerie zusammengestellt. Hier trifft der großartige Maler Leon Golub auf Pierre Klossowski und Ricardo Brey – durchwegs Künstler, die den bisherigen Weg der Galeristin geprägt haben.

Suche nach Strukturen. Die Galerie nächst St. Stephan richtet Ferdinand Penker erstmals in Wien eine große Personale ein. Er gilt als Geheimtipp, lebte lang zurückgezogen auf Schloss Hornegg in der Steiermark, war kaum auf dem Kunstmarkt präsent. Seine Suche nach dem „idealen Strich“, wie er es einmal formulierte, fand letzten Juni ein jähes Ende, er starb 64-jährig an Herzversagen. Sein Vorbild sei Josef Albers, hat er häufig erklärt. Albers malte Zeit seines Lebens ineinandergeschachtelte Quadrate mit gleichmäßig aufgetragenen, ungemischten Farben. Ihn faszinierte, wie Farben wahrgenommen werden, je nach Umgebung heller oder dunkler. Penker besuchte Albers 1971 in New York, offenbar hat ihn diese akribische Malerei beeindruckt. Sein Werk ist ähnlich angelegt, auch er sucht Strukturen. Manche Bilder wirken wie schnelle, stark gestische Malerei. Tatsächlich sind es aber in einem langen, langsamen Prozess entwickelte Untersuchungen zur Linie in der Malerei. Jeder Farbverlauf, jeder Schwung darin ist eine kontrollierte Entscheidung (ab 7700 Euro für die Zeichnungen, bis zu 40.000 Euro für die Bilder).

Geradezu konträr legt die 1940 in Wien geborene Malerin Martha Jungwirth ihre abstrakten, gestisch-expressiven Bilder an. Anders als Penker sucht sie keine Strukturen, sondern vertraut auf Emotionen und Spontanität. Ihr Ausgangspunkt sind Erinnerungen, „Vorwände“, wie sie es nennt – etwa Balkone, die sie in Spanien gesehen hat. Bei ihrem ersten Auftritt in der Galerie Krinzinger ist auch ihre Serie „Aridane“ ausgestellt. Beim genauen Hinsehen erkennt man Schuhabdrücke. Jungwirths Bilder liegen während des Malprozesses auf dem Boden, manchmal geht sie halt darüber – eine spannungsvolle Ergänzung zu den malerischen Bildpartien, ein Einbruch in die Bildillusion. Ihr Werk ist eine Wiederentdeckung, auf den Auktionen 2014 erzielten ihre Bilder bereits Höchstpreise. In der Galerie kosten sie 3500 bis 40.000Euro.

Gänzlich anders legte Arman sein Werk an. Der französische Künstler, der 2005 in New York verstarb, wurde berühmt für seine „Akkumulationen“. So nannte er seine Anhäufungen von Dingen, die er Anfang der Sechzigerjahre zerschnitt und sogar in die Luft sprengte, um die Reste dann auszustellen. Bald goss er gefundene Objekte in Polyester ein, Musikinstrumente, Besteck, Uhren – jeweils Dinge mit gleicher Funktion. Arman war Gründungsmitglied des Nouveau Réalisme. Diese Bewegung hatte zum Ziel, das tägliche Leben in die Kunst zu holen. Aber Arman sah in seinen Objekten auch eine Kritik an der Konsumgesellschaft, und die Musikinstrumente galten ihm als Inbegriff einer Bürgerlichkeit, die er ablehnte. In der Galerie Ernst Hilger sind jetzt einige der zerschnittenen und neu zusammengefügten Geigen ausgestellt (ab 83.600Euro), dazu Armans Tuschezeichnungen auf Notenblättern (22.000Euro), die eindrucksvoll zeigen, wie experimentierfreudig er in den Neunzigerjahren zur Malerei zurückgekehrt ist.


Gegen Glaskitsch. Aber nicht alle setzen heuer auf Klassiker. In der Schleifmühlgasse bei Charim Events zeigt Anca Munteanu Rimnic in ihrer kleinen, feinen Ausstellung brisante Arbeiten. In ihren Videos und Objekten spielt die 1974 in Rumänien geborene, in Berlin lebende Künstlerin mit Referenzen an ihr Heimatland. In der Performance „Ursu“ setzte sie sich als Bärin verkleidet auf Kristallvasen. Dieser brachiale Akt basiert auf einer kleinen Geschichte: In ihrer Heimat musste eine Kristallglasfabrik die Produktion hochwertiger Erzeugnisse auf kitschige Produkte umstellen. Als sie die Fabrik besuchte, sah sie auf der Straße überall „Achtung Bären“-Schilder – und stellte sich vor, dass sich die Bären auf die „Scheußlichkeiten“, wie die Künstlerin es formuliert, einfach draufsetzen würden. Ihre Ausstellung beginnt mit der Fotografie dieser Performance (3000 Euro), und endet mit einem beeindruckenden Teppich: Sie ließ die Muster eines Kelimteppichs in weißer Keramik nachfertigen (28.000 Euro). Das Isolieren der traditionellen Muster ist eine Betonung des Erinnerns, die Materialtransformation ein Akt des Bewahrens, der Prozess des Ausbleichens ist wie eine Reinigung. Dazu zeigt Rimnic ein Video rumänischer Klageweiber. Die beklagen allerdings keine verstorbenen Verwandten, sondern murmeln die Worte „Kurator, Museum, Collector“ ...

Das Vienna Gallery Weekend muss einen solchen Abgesang auf das Kunstsystem nicht fürchten. Sein hochkarätiges Programm bestätigt die hohe Qualität der Wiener Galerien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2015)

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