Sammeln aus Sehnsucht nach dem heilen Leben

Hubert Scheibl
Hubert Scheibl(c) Kunsthalle Wien
  • Drucken

20 Künstler wurden gebeten, für die Schau „Individual Stories“ im Museumsquartier ihre Archive zu öffnen: Was horten sie? Woran hängt ihr Herz? Das Ergebnis ist ein bisschen zu schön, um wahr zu sein.

Bücher natürlich. Wir alle sammeln Bücher. Und da kann es schon vorkommen, dass ein Exemplar gleich zweimal in der Bibliothek landet – vielleicht hatten wir es verliehen und es dann doch gebraucht, vielleicht hatten wir auch einfach vergessen, dass wir den Band überhaupt besitzen. Aber Dutzende Male? Wer stellt sich denn über 30 Ausgaben von Wilhelm Reichs „La Révolution sexuelle“ ins Regal?

Jacques André etwa. Er ist einer jener Künstler, die in dieser Schau nicht mit ihren privaten Kollektionen vorgestellt werden, sondern die ausgewählt wurden, weil sie sich in ihren Arbeiten mit dem Thema Sammeln auseinandersetzen. Er versuche, heißt es im Pressetext, „idealerweise sämtliche Kopien von Schallplatten und Büchern zusammenzutragen“. Was nicht gelingen wird. Typisch ist es: Ein Aspekt des Sammelns ist ja das Streben nach Vollständigkeit. Der Wunsch, dass etwas im Leben komplett sei, heil sei.

Andere Künstler versuchen, mit Schönem und Kuriosem das Leben zu bereichern oder wie Hubert Scheibl es ausdrückt: im Gleichgewicht zu halten. Er zeigt im Museumsquartier eine Auswahl wissenschaftlicher Modelle aus dem 19. Jahrhundert. Es sind eigentümliche, in ihrer Fremdheit bestechende Objekte, sie bilden Orchideen oder Flaschenkürbisse nach oder den Querschnitt eines Mutterkornpilzes: „Claviceps Purpurea“. Wie man zu solchen Stücken kommt? Sicher ist: So sieht Leidenschaft aus.

Plastikabfall und antike Vasen

Kunsthallen-Direktor Nicolaus Schafhausen, Luca Lo Pinto und Anne-Claire Schmitz haben die Schau gemeinsam kuratiert und versucht, einen breiten Bogen zu spannen: Einige Künstler wie Maurizio Nannucci haben wirklich ihre Archive geöffnet und sehr persönliche Gegenstände beigesteuert, Briefe von Freunden und Kollegen etwa. Andere zeigen, wie das Sammeln zur Kunst, die Kunst zum Sammeln führt: Michael Riedel nahm auf rund 300 Mini-Disc Gespräche auf, die er später verarbeitete.

Ob sie in 20 Jahren noch abspielbar sein werden? Wieder andere liefern gleich Kunstwerke ab: G. T. Pellizzi zeigt Bruchstücke antiker Vasen und Krüge – und daneben Plastikabfall: Einen kaputten Ball, eine zerborstene Plastikschüssel, einen Barbie-Torso, gebrauchte Zahnbürsten und zahnlose Kämme. Werden das künftige Archäologen ausgraben? Was wird es wert sein?

Nicht alle haben sich auf die Vorgaben eingelassen. Andrea Büttner weigerte sich und schickte eine Arbeit, mit der sie auf der Documenta 13 vertreten war und die uns daran erinnert, was Kinder sammeln: Strohhalme und Flaschendeckel und Klopapierrollen. Daraus bastelte sie eine kleine Szene. „Ich glaube nicht an die Geste, das Private öffentlich zu machen“, erklärt sie.

Nun, die meisten anderen Künstler auch nicht. Was wir sehen, ist nicht persönliche Sammelleidenschaft, sondern deren ausgeklügelte Präsentation. Das Ergebnis sind zum Teil wunderschöne Arrangements: So überlegt sind die Federn, Blätter, Steine und Knöchelchen von Michaela Maria Langenstein drapiert, so zart und edel wirken sie! Rauchquarze und Schwerter (Herbert Brandl) glänzen in edlen Vitrinen. Pierre Leguillon hat aus Kunstpostkarten und Langspielplatten ein Bodenmosaik und aus Badetüchern einen Wandteppich hergestellt. Die geputzten Damenschuhe von Hans-Peter Feldmann stehen in Reih und Glied, dass es fast zu gewollt erscheint, wenn hin und wieder der linke oder rechte fehlt. Alles wirkt wohl geordnet, fein gefügt, fast pedantisch.

Aber was ist mit der anarchischen Seite des Sammelns? Mit dem Impulsiven, Unberechenbaren. Was ist mit dem Zustand der Sammlung vor der Präsentation? Das Chaos – es fehlt.

Digitaler Bilderfundus

Das heißt: Es fehlt nicht ganz, man muss es nur gut suchen: Hanne Lippard hat einen Film gedreht, der uns mit einer Reihe von Screenshots konfrontiert: Wir sammeln ja auch virtuelle Dinge, mittlerweile besteht immer mehr von dem, was wir „besitzen“, nur mehr aus Bits und Bytes: Fotos, Filme, Musik, Briefe, Bücher. Hanne Lipard führt vor, was wir so horten in unseren digitalen Archiven: Reiseseiten und Suchmasken, E-Mail-Anfragen und Definitionen aus Wörterbüchern. Das Foto einer neugierigen Katze darf natürlich nicht fehlen. Am Ende landet dann alles im digitalen Papierkorb. Ob sie es wohl wieder hervorholen wird?

„Individual Stories“. Sammeln als Porträt und Methodologie. Bis 11. Oktober. Kunsthalle Wien, Museumsplatz 1. Tägl. von 10 bis 19 Uhr, Do 10 bis 21.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.