"60 Jahre. 60 Werke": Die DDR als schwarzes Loch

(c) AP (Michael Sohn)
  • Drucken

Eine große Ausstellung im Berliner Gropius-Bau zeichnet Jahrzehnte deutscher Kunstgeschichte nach. Ein „Best of BRD“, das Ostkunst ausklammert. Die Schau ist als Hommage an Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes gedacht, der die Freiheit der Kunst regelt.

Jahrzehntelang stand der Berliner Gropius-Bau im Ödland direkt an der Mauer. Jetzt ist just dort eine Ausstellung zu sehen, welche die Kunst von 60 Jahren Bundesrepublik abbildet, jene der DDR jedoch ausklammert – quasi 40 Jahre Ödland. 20 Jahre nach dem Mauerfall scheint die Trennung zwischen Ost und West einzementiert. Das ist der Hauptkritikpunkt vieler Berliner an der Ausstellung „60 Jahre. 60 Werke“, die von der (aus Ostdeutschland stammenden) Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich eröffnet wurde.

Die Schau ist als Hommage an Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes gedacht, der die Freiheit der Kunst regelt. „Natürlich hat es in den Jahren von 49 bis 89 auch in der DDR Kunst und Kultur gegeben“, räumen die Kuratoren Walter Smerling und Peter Iden ein, „die Ausstellung zeigt aber die künstlerischen Positionen, die auf der sicheren Grundlage des Grundgesetzes, nämlich der staatlich garantierten künstlerischen Freiheit, ihre Entfaltung fanden.“

Kunst als „höchste Form der Hoffnung“

Ostkunst also erst ab der Wende; vor 1989 tauchen neben westdeutschen nur in die BRD geflohene Künstler wie etwa Georg Baselitz oder Gerhard Richter auf. „Kunst ist die höchste Form der Hoffnung“, zitierte die Kanzlerin Letzteren bei der Eröffnung, „Kunst hat mir ein Stück Hoffnung gegeben.“ Die Kunst, mit der Merkel aufgewachsen ist – und viele andere im wiedervereinigten Berlin –, muss sie allerdings missen.

Initiiert wurde die westdeutsche Jubelschau vom Veranstalter „Stiftung für Kunst und Kultur Bonn“ und der „Bild“-Zeitung, die ihren Lesern derzeit täglich ein Exponat vorstellt und verkündet: „Um Ihnen, liebe Leser, die Werke auch im Original zeigen zu können, präsentieren wir sie in einer Ausstellung.“ Propagiert vom Springer-Verlag, mitfinanziert vom rheinischen Energiekonzern RWE, unterstützt vom Innenministerium: Herausgekommen ist eine Art Hitparade unter dem Motto „Best of BRD“.

Die Bandbreite reicht von Malerei und Grafik über Skulptur und Installation bis zur Fotografie. Von Wols bis Nay, Richter, Baselitz, Lüpertz, über Immendorff, Kiefer und Beuys bis zu Kippenberger, Meese, Richter, Rauch – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Jedem Jahr ist ein Werk zugeordnet, teils recht willkürlich. Für den Betrachter lässt sich das Ordnungsprinzip nur schwer nachvollziehen. Er stolpert von hier nach da, von einer Dekade in die Nächste, in die 60 Jahre Bundesrepublik zwecks besseren Verständnisses zerhackt wurden.

Schwarz-rot-goldener Geburtstagskuchen

Eine bunte Aneinanderreihung von Häppchenkunst, die für jeden etwas bietet. Gut geeignet für den familiären Sonntagsausflug, um „ein bisschen Kunst zu schauen“. Großflächig und durchaus eindrucksvoll. Aber als Zeitzeugen sind die ausgestellten Werke kaum zu gebrauchen. Wenn etwa gerade für das Jahr 1989 eine Skulptur von Kippenberger ausgewählt wurde, die laut Katalog von der Italien-Sehnsucht ausgeht, die „jedem deutschen Wohlstandsbürger“ innewohnte. Und warum wird Beuys' in Filz gewandeter Flügel von 1966 dem Jahr 1976 zugeordnet? Fast hätte ihn das Centre Pompidou übrigens nicht herausgerückt: Da musste Merkel erst persönlich Frankreichs Präsidenten Sarkozy anrufen.

„Man knete 60 deutsche Künstler zu Teig, überziehe ihn mit schwarz-rot-goldener Glasur – und fertig ist der Geburtstagskuchen fürs Grundgesetz“, urteilt der „Spiegel“, „so haben sich das die prominenten Macher gedacht – und doch nur schwer verdauliches PR-Gebäck abgeliefert.“ Ein Bärendienst für das Verständnis der gemeinsamen Geschichte der Deutschen, kritisiert die „Berliner Zeitung“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.