TBA21: Schamanisches im Augarten

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Der brasilianische Künstler Ernesto Neto hat den Regenwald bereist und das Volk der Huni Kuin kennengelernt. Mit "Sacred Secret" präsentiert er uns sein neues Weltbild.

Eine wunderschöne Beulenlandschaft füllt den Raum. Wo vor sechzig Jahren der Bildhauer Gustinus Ambrosi seine postfaschistischen Skulpturen schuf, riecht es nach Kurkuma, Nelken und Kreuzkümmel. Denn in Ambrosis ehemaligem Augarten-Atelier stellt jetzt Ernesto Neto aus – und definiert die Räume komplett um.

Das beginnt am Eingang: Man muss die Schuhe ausziehen. Über weiche Matten gelangt man langsam tiefer in Netos Universum. Auf dem Boden kullern kleine Objekte herum, die der 1964 geborene Künstler „flowers“ nennt. Sie sind mit exotisch riechenden Kräutern gefüllt. Daneben hängen elastische Textilien von der Decke. Gefüllt mit Reis und Styropor, entstehen diese für Neto so typischen, tropfenartigen Formen. Dafür ist der brasilianische Künstler seit Ende der 1990er-Jahre bekannt. Allerdings hat er sein Repertoire jüngst tiefgehend erweitert. Vor zwei Jahren reiste er in den Regenwald und lernte das indigene Volk der Huni Kuin kennen, das an der Grenze zwischen Brasilien und Peru lebt. Seither treten zur Eröffnung seiner Ausstellungen opulent geschmückte Vertreter der Huni Kuin auf und laden zum Mitsingen und manchmal Tanzen ein.

Rituale, Kräuter und Gesänge

Diese Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und den Indigenen ist weit mehr als nur ein Happening. Denn Neto präsentiert uns hier sein neues, schamanisch-spirituelles Weltbild. Das klingt schon im Titel an: „Sacred Secret“ tituliert er seinen ersten Auftritt in Österreich. Zur Pressekonferenz lud er uns in das „spirituelle Zentrum“ seiner Ausstellung ein. „NixiForestKupiXawa“ (2015) besteht aus einem großen Netz, das eine Art Zelt bildet, darunter liegen Polster. Kleine Körbe stehen davor. Wofür die sind, wurde erst später klar. Kerzen hängen in der Mitte, und Neto sitzt wie ein Guru im Türkensitz auf seinem Sessel. Und redet. Ununterbrochen. Fast zwei Stunden lang. Neben ihm posieren einige Huni-Kuin-Schamanen. Sie tragen fantastischen Kopfschmuck, der an die Maya-Kultur und an „Winnetou“-Filme erinnert. Unter ihren ornamental gemusterten Gewändern sieht man Jeans, auch eine Trainingshose, einer hat eine goldene Uhr am Handgelenk, eine spielt mit ihrem Handy – um ein unkontaktiertes Volk handelt es sich bei den Huni Kuin also nicht. Neto erzählt von seinem spirituellen Erweckungserlebnis im Amazonas. „Wir sind Kinder der Pflanzen, Pflanzen sind unsere Brüder, Schwestern, Mütter“, erklärt er uns. „Alles redet mit uns.“ Er sei in eine andere Dimension gekommen, und offenbar sollen wir ihm dorthin folgen.

Solche Erfahrungen zu versprachlichen gelingt nur wenigen. Neto gehört nicht dazu. Aber mit seiner künstlerischen Sprache vermittelt er uns sehr wohl einen Eindruck dieser Dimension. Die Inszenierung haben die Indigenen mitgestaltet, die in ihrer Heimat bekannt sind für Kene Kuin, True Design: spezielle Muster für Körperbemalungen, auf Körben, Stoffen, Taschen und Schmuck. Einiges davon wird im Augarten verkauft, der Erlös soll für eine Wasseraufbereitungsanlage verwendet werden. Huni Kuin heißt übrigens Real People – ihre Sprache scheint aus bedeutungsschweren Worten zu bestehen.

Um den Eindruck dieses Augarten-Raums als spirituelles Zentrum, als Ort des Rituals und des Heilens noch zu verstärken, werden Kräuter verbrannt. Dann packen einige Besucher ein Pulver aus und blasen es sich mit einem kleinen Gerät in die Nase – um anschließend immer wieder zum Taschentuch zu greifen. Dafür also sind die Körbe gut. Es sind kleine Mülleimer.

Mit den Objekten, Ritualen, Kräutern und Gesängen hat Ernesto Neto dieses ehemalige Bildhaueratelier umfunktioniert und zum Ort einer klaren Botschaft gemacht. Am Ende ist man mit ihm davon überzeugt, dass die Zukunft unseres Planeten in dem Wissen und Lebensstil der Indigenen liegt, deren Rechte nahezu jede Woche von illegalen Holzfällerbanden, Goldgräbern und Farmern, sogar vor den eigenen Regierungen missachten werden. Dabei ist ihre und jetzt auch Netos Botschaft so einfach wie überzeugend und dringend: „Unsere einzige Zukunft liegt in unserer Beziehung zur Natur.“ Unser Körper, unsere Gedanken, unsere Arbeit, alles muss mit der Natur verbunden werden. Im Atelier wirkt das überzeugend und einfach. Draußen im Augartenpark kommen dann schon die ersten Zweifel: Welche Natur denn?

Ernesto Neto: „Sacred Secret“, TBA21, bis 25. Oktober.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)

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