Secession: Entfremdetes China am Wiener Karlsplatz

(c) Fabry Clemens
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„Splendid River“: Cao Fei zeigt Einsamkeit und Wirklichkeitsflucht im modernen China. Bis 30. August.

Chinesische Schriftzeichen über dem Eingang der Wiener Secession – ein Tribut an Touristen? Übersetzt heißen die vier Zeichen „Splendid River“, was keinen Sinn ergibt – bis man erfährt, dass dies der Name einer Immobilienfirma ist, die in Guangzhou eine Kopie der Secession als Firmensitz gebaut hat. Solche Kopien sind in China nicht selten, selbst Hallstatt ist dort komplett nachgebaut worden. Die kopierte Secession steht in einem Industrieviertel, neben einer viel befahrenen Straße. Eigentlich erinnert nur die goldene Kuppel deutlich an das Wiener Vorbild, der Rest ist frei adaptiert.

„Splendid River“ – diese Schriftzeichen sind auch der Auftakt von Cao Feis erster Einzelausstellung in Österreich. Die 1978 in Guangzhou geborene Künstlerin mischt in ihren medialen Arbeiten virtuelle und analoge Wirklichkeiten. Schon 2004 hatte sie für „COSplayers“ junge Chinesen gefilmt, die als Computerspielfiguren verkleidet in einer futuristischen Stadtlandschaft stehen, klettern, kämpfen oder völlig deplatziert zu Hause bei ihren Eltern zu sehen sind. 2007 prägte ihre Installation „RMB City“ die Stimmung der Biennale in Istanbul: In riesiger Projektion mit lauter Musik sahen wir eine wilde Mischung von Bildelementen, mit denen Fei ihre virtuelle Stadt innerhalb des Computerspieles „Second Life“ generiert hatte. Darin trafen sich die Bildwelten der digitalen Spiele und der zeitgenössischen Kunst überzeugend. Bis heute gilt Fei als die wichtigste Künstlerin dieser Zwitterwelt. Entfremdung, Einsamkeit, Wirklichkeitsflucht – das sind ihre Themen. Zuletzt faszinierte ihr Film „Haze and Fog“: Bewohner und Dienstleister eines der anonymen Apartmenthäuser, wie sie überall in Chinas Großstädten entstehen, vollführen abstruse Aktivitäten. Eine junge Frau badet mit Plastikmelonen, ein alter Mann zerdrückt ein rohes Ei, ein Frau tanzt Ballett in den Gängen eines Supermarktes. Als wäre das nicht schon spukhaft genug, verwandeln sich die Menschen zunehmend in hinkende Zombies.

Auf zu engem Raum präsentiert

So zeigt Fei die „Schleier und Nebel“, die sich über das Leben legen, inszeniert Verlust von Traditionen und Bindungen, die Leere des Lebens in der Großstadt, die verlorenen Träume der Menschen. Jedes dieser Videos brennt sich tief in das Gedächtnis ein – wenn es einzeln präsentiert wird. In der Secession aber kommen all diese Werke auf engem Raum im Untergeschoß zusammen. Da geht man zunächst an vier Monitoren vorbei, auf denen Teilnehmer einer Online-Dating-Plattform gezeigt werden. Die jungen Männer suchen sexuelle Stimulanz, Fei zeigt ihnen aber nur eine Schlafende, einen Buddha, eine Aussicht. Sicherlich, auch das ist ein Phänomen der Leere, aber ziemlich redundant: Die Männer wechseln innerhalb einer Sekunde den Kanal. Es folgt u. a. eine Art Reisebüroschreibtisch für die virtuelle Stadt „RMB City“. Oben im Kabinett liegen 80 verspiegelte Sonnenbrillen unter dem Titel „Splendid Mirror“ im Regal, daneben fahren vier Roboterstaubsauger über eine Holzlandschaft, krachen auf der Brücke manchmal ineinander.

So behandelt Cao Fei das entfremdete Leben im modernen China. Aber die desolate Stimmung verliert sich in der Aneinanderreihung. Die radikalen Veränderungen erscheinen in dieser Ballung allzu selbstverständlich, die Bildwelten werden schnell vertraut, die Widersprüche entfalten angesichts der Wiederholungen nicht ihre Wirkung. Und die Schriftzeichen auf der Fassade erscheinen als leere Geste, die auf eine andere Welt verweist, aber keine Bedeutung transportiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2015)

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