Das Einhorn: Karriere eines Fabelwesens

(c) REUTERS (LUCY NICHOLSON)
  • Drucken

Die ersten Einhörner hatten Elefantenfüße, später wurde das Tier als Sinnbild Jesu Christi verehrt. Eine Zeit lang war es so out wie der röhrende Hirsch – jetzt kommt es wieder: schrill, schillernd und oft mit überraschend kurzem Horn.

Man verkauft damit neuerdings Handyhüllen und Kaffeebecher: „Sei immer du selbst!“ ist darauf zu lesen: „Außer du kannst ein Einhorn sein. Dann sei ein Einhorn.“ Stars wie Miley Cyrus oder Katy Perry treten im türkis-rosa Einhorn-Jumpsuit auf, sie holen sich das Fabelwesen auf die Bühne oder färben sich das Haar à la Unicorn – also pastellig lila, rosa oder blau. Sogar der ewig schwarze Marilyn Manson posiert mit einem Einhorn – in Plüsch und Pink! Und der Song „Pink Fluffy Unicorns Dancing on Rainbows“ wurde auf YouTube über 30 Millionen Mal aufgerufen.

Noch früher als der Pop war die Wirtschaft dran: Seit Herbst 2013 kennt man das Unicorn-Start-Up: Aileen Lee erfand den Begriff für Softwarefirmen, die binnen Kurzem über eine Milliarde Dollar schwer sind. Sie habe nach einem Wort gesucht, das eingängig sei und deutlich mache, dass es um die Besten der Besten gehe, erklärte sie der „New York Times“: „Um jene Firmen, die wir alle gründen oder in die wir investieren wollen.“

Rezepte mit Einhornleber

Schön, dass das Einhorn sich wieder größerer Beliebtheit erfreut: Immerhin war es über fast zwei Jahrtausende ein wichtiges Symbol. Erstmals genauer beschrieben hat es Plinius der Ältere: „Das wildeste Tier“, so der Römer in seiner „Naturalis historia“, „ist das Einhorn, dessen Körperbau dem des Pferdes ähnelt, das aber einen Hirschkopf, Elefantenfüße und einen Eberschwanz hat.“ Weniger abenteuerlich ausgestattet war ein Exemplar in Afrika, es glich einem Esel. Selbst war Plinius weder nach Indien noch nach Afrika gekommen, wo die Tiere angeblich lebten: Er zitierte den Arzt Ktesias von Knidos.

Das Fantastischste am Einhorn ist wohl, wie lang man es für real hielt: Bis in die frühe Neuzeit wurde sein Horn teuer gehandelt – es waren allerdings Stoßzähne des Narwals. Und noch im 19.Jahrhundert fühlte sich der Paläontologe Georges Cuvier bemüßigt nachzuweisen, dass es sich bei Einhörnern um eine Ausgeburt der menschlichen Fantasie handelt. Seine Argumentation: Die Tiere würden meist als Paarhufer dargestellt. Die haben aber ein geteiltes Stirnbein, dort könne gar kein Horn wachsen! Ein amerikanischer Biologe trat daraufhin den Gegenbeweis an und pflanzte einem Stierkalb Hornknospen in die Mitte der Stirn.

Schuld an diesem unerschütterlichen Glauben an die Existenz dieses Tieres war ein Übersetzungsfehler. Bei der Übertragung der Bibel ins Griechische im dritten Jahrhundert schummelte sich das Monoceros, also Einhorn, in den Text. Gemeint war offenbar ein Wildstier oder Auerochse. Zur gleichen Zeit erschien der „Physiologus“ und fabulierte von einem Einhorn, das im Übrigen nicht einem Pferd, sondern einem Zicklein ähnelt. Dort findet sich auch eine Anleitung, wie man des Tieres habhaft werden kann, das laut Plinius nicht lebendig gefangen werden kann: Man legt ihm eine „reine Jungfrau, schön ausstaffiert, in den Weg“. In deren Schoß legt dann das Einhorn vertrauensselig seinen Kopf. Von der Jungfrau zur Jungfrau Maria mit dem Christuskind war es nicht weit: Über Jahrhunderte wurde das Einhorn als Sinnbild des Erlösers verehrt.

Was nicht bedeutet, dass man es nicht ausweiden durfte: Hildegard von Bingen verfasste ein Rezept auf Basis von Einhornleber: „Wenn man sie pulverisiere und mit Eigelb mische, erhalte man eine Salbe, die jede Art von Aussatz heile. Sicherheitshalber schob sie einen Nachsatz hinterher: „Es sei denn, dass der Kranke dem Tod übereignet ist und Gott ihn nicht heilen will.“

Statt viril wirken sie naiv

Die Moderne, das heißt: die modernen Naturwissenschaften, machten schließlich dem Einhorn den Garaus. Die symbolische Bedeutung ging verloren, immer weniger Besucher von Kirchen und Museen wussten, dass es sich bei dem Tier mit dem langen Horn um ein Symbol für Reinheit und Keuschheit handelt. Stattdessen wurde es mit sexueller Bedeutung aufgeladen. In der Folge galten Einhörner als der Inbegriff des schlechten Geschmacks, noch vor den röhrenden Hirschen. Geduldet wurden sie allenfalls auf Schultaschen der Erstklässler und Stickern für den Kindergeburtstag. Sie wissen noch nicht, dass das Horn für den Phallus steht.

Und jetzt? Jetzt sind Einhörner wieder „fancy“. Allerdings sehen sie weder den Bestien des Plinius noch der christlichen Ziege ähnlich. Und auch nicht den weißen Pferden mit elegantem Horn und Engelsflügeln, die André Heller in seiner Show „Magnifico“ auftreten ließ. Nein: Die Einhörner von heute haben meist große Augen und lange Wimpern, eine dichte, wallende Mähne, und zwar in der Farbe des Regenbogens. Muskeln sucht man vergeblich: Statt viril wirken die Tiere weiblich, statt kämpferisch gutmütig. Einhörner, so die Botschaft, müssen nicht aggressiv sein, um sich zu behaupten. Sie sind sanft und stark und unabhängig.

Ihr Horn – bei Plinius noch drei Ellen lang – ist deutlich geschrumpft. Das haben die modernen Einhörner mit den christlichen gemeinsam: Sie sind keusch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.